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Zugkatastrophe von 2023 Ohnmacht, Trauer, Wut: Griechenland gedenkt der Toten von Tempi

Die Griechen tragen ihre Wut auf die Strasse, weil ein verheerendes Zugunglück noch immer nicht aufgeklärt ist. Es könnten die grössten Proteste in der Geschichte des Landes werden.

Das Unglück: Zwei Jahre ist es her, als ein Intercity und ein Güterzug in Griechenland frontal zusammenstiessen. Bei dem Unglück starben 57 Menschen. Im Intercity von Athen nach Thessaloniki sassen Dutzende junge Studierende, die das Wochenende in der Hauptstadt verbracht hatten. Die Katastrophe von Tempi, und mit ihr die fürchterlichen Bilder vom Unglücksort, haben sich ins Gedächtnis der Menschen eingebrannt.

Die offenen Fragen: Die Züge kollidierten auf einem eingleisigen Streckenabschnitt. «Vermutlich war es menschliches Versagen», sagte Premierminister Kyriakos Mitsotakis, als die Bilder der ineinander verkeilten Züge um die Welt gingen. Familien und Angehörigen der Opfer warten noch immer auf Antworten, die konservative Regierung trug kaum zur Aufklärung bei.

Dabei gibt es bis heute offene Fragen. Einige davon: Warum wurde direkt nach dem Zusammenstoss die Erde bei der Unglücksstelle entfernt und mit Kies aufgefüllt? Warum wurden Tonaufnahmen der Kommunikation zwischen dem Lokführer und einem Stellwerk zusammengeschnitten, bevor sie veröffentlicht wurden? Transportierte der Güterzug verbotenerweise brennbares Gefahrengut, wie es die Familien der Opfer und Gutachter vermuten?

Der Protest: Die Wut der Angehörigen hat sich auf die Bevölkerung übertragen. Im Stadtzentrum von Athen protestierten rund 170'000 Menschen. Sie fordern eine restlose Aufklärung des Bahnunglücks 2023 – und dass nicht nur die Bahngesellschaft, sondern auch die politisch Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Nach der Veranstaltung lieferten sich Hunderte Randalierer Strassenschlachten mit der Polizei. 20 Personen wurden festgenommen, 5 Menschen wurden verletzt.

Anders als bei früheren Protesten beteiligen sich auch viele Selbstständige und Angestellte von Kleinunternehmen; viele Tavernen, Cafés und Supermärkte bleiben geschlossen. In vielen Gemeinden läuten Kirchenglocken. Bei den Grossdemonstrationen in Athen und Thessaloniki kam es auch zu Krawallen.

Die Stimmen aus Athen: «Wir verlangen Gerechtigkeit für das, was diesen Menschen widerfahren ist», sagt eine junge Studentin in Athen gegenüber SRF. «Denn wir glauben, dass hier eine Vertuschung stattfindet. Immer wieder kommen neue Dinge an Licht.» Eine weitere Demonstrantin kritisiert, dass Berichte über Probleme im Schienenverkehr weiter an der Tagesordnung seien. «Ich habe ganz einfach Angst, in einen Zug zu steigen.»

Der brisante Bericht: Zusätzlich befeuert werden die Proteste vom ersten offiziellen Bericht der Behörde für Unfälle im Luft- und Bahnverkehr, der diese Woche erschienen ist. Darin ist vom desolaten Zustand der griechischen Bahn und gravierenden Ermittlungsfehlern im Anschluss des Unglücks die Rede. So sei beispielsweise die Unglücksstelle nicht richtig kartiert worden, auch hätten Feuerwehr, Rettungskräfte und Polizei nicht organisiert zusammengearbeitet.

Gruppe von Männern in Uniform vor beschädigtem Zugwrack.
Legende: Regierungschef Mitsotakis (zweiter von rechts) räumt zwar ein, dass es bei der Modernisierung des Zugverkehrs zu Verzögerungen kam. 80 Prozent des Schienennetzes seien aber mittlerweile auf neustem Stand. Keystone / Griechisches Innenministerium (Archiv)

Die Reaktion der Regierung: Premierminister Mitsotakis weist Vertuschungsvorwürfe vehement zurück. Stattdessen wirft er der Opposition vor, den Unmut in der Bevölkerung zu instrumentalisieren: «Ihr Versuch, eine politische Destabilisierung auszulösen, ist offensichtlich: Sie bezeichnen uns als Mörder und fordern unseren Rücktritt», sagte Mitsotakis. Rücktrittsforderungen wies er im gleichen Atemzug zurück.

Rendez-vous, 28.02.2025, 12:30 Uhr ; 

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