Die Bilder vom 6. Januar 2021 sind erschreckend. Trump-Anhänger stürmen das Parlamentsgebäude. Manche greifen Polizisten an, schlagen Scheiben ein, dringen ins Kapitol ein. Es gibt Tote. Forrest Rogers reagiert schnell, als er diese Bilder sieht. «Als ich am 7. Januar aufwachte, realisierte ich das Ausmass der Zerstörung und was für eine gigantische Arbeit es sein würde, diese vielen Täter zu identifizieren.»
Rogers war überzeugt, dass er mit seinen Fähigkeiten helfen kann. «Viele haben sich selbst und andere vor und im Kapitol gefilmt und die Videos auf sozialen Medien geteilt. Ich habe am 7. Januar damit begonnen, das Internet nach diesen Videos zu durchsuchen und sie zu sichern.»
Sisyphusarbeit im Internet
Rogers ist investigativer Journalist, spezialisiert auf Open-Source-Recherchen. Er versteht sich also darauf, öffentlich verfügbare Daten im Internet zu finden und auszuwerten. Fotos und Videos auf sozialen Medien etwa. Er und viele andere aus dieser sogenannten Osint-Szene finden nach dem 6. Januar zusammen.
Fast obsessiv analysieren die Osint-Ermittler eine enorme Masse an Bildmaterial. Sie konzentrieren sich auf jene, die am 6. Januar Gewalt anwendeten oder ins Kapitol eindrangen. Wen sie eindeutig identifizieren, melden sie an die Bundespolizei, das FBI.
Rogers ist in der ersten Phase nach dem 6. Januar eine prominente, sehr aktive Figur in dieser Osint-Szene. Er identifiziert einen Mann, der am 6. Januar einen Polizisten mit einem Elektroschocker angriff. Und er kann nachweisen, dass ein anderer Polizist mehrfach angegriffen und verletzt wurde. Das führte dazu, dass dieser sich später das Leben nahm.
Osint-Ermittler unterstützen das FBI
Heute arbeitet der deutsch-amerikanische Journalist für die «Neue Zürcher Zeitung». Andere Osint-Ermittler würden aber bis heute weitersuchen. Rogers bewundert sie: «Das ist alles Freiwilligenarbeit. Manche wenden auch nach zwei Jahren ihre Ressourcen auf, um Personen zu identifizieren.»
Die Szene der Osint-Ermittler habe hunderte, wenn nicht tausende Personen identifiziert, die am Sturm aufs Kapitol teilnahmen. Viele wurden verhaftet. Doch die Fülle an Hinweisen habe die Justiz an ihre Grenzen gebracht, sagt Rogers.
Die Osint-Szene habe etwa einen Mann identifiziert, der bis heute auf freiem Fuss sei. «Wir wissen seit März 2021, wer er ist – mit tausendprozentiger Sicherheit. Er war gewalttätig. Er hat einen Pressefotografen geschlagen und Anti-Bären-Spray gegen Polizisten eingesetzt. Er ist in seiner Gemeinde bekannt, er ist dort auch hochgeachtet.» Rogers ist irritiert darüber, dass der Mann eineinhalb Jahre nach dem 6. Januar 2021 immer noch Ferienfotos auf Facebook oder Fotos von der Hochzeit des Sohnes posten konnte.
Hier liegt die Grenze der Osint-Arbeit: Die Szene kann ermitteln, Personen identifizieren. Am Ende muss aber die Polizei handeln. Rogers kann nur hoffen, dass die Bundespolizei auch bald vor der Tür dieses längst identifizierten Mannes steht.