WM-Fieber in Amman: In einer kleinen Bar im Ausgehviertel an der bekannten Rainbow Street läuft der Match Schweiz – Brasilien auf mehreren Fernsehbildschirmen. Ein paar Männer unterbrechen ihr Billard-Spiel immer dann, wenn der Kommentator laut wird.
Fast trifft Brasilien: Die Männer ziehen an ihren Zigaretten. Obwohl erst rund die Hälfte der Tische besetzt ist, ist die Bar verqualmt. Der Schweizer Torhüter Yann Sommer hat gehalten, die Männer am Billardtisch im vorderen Teil der Bar wenden sich wieder ihrem Spiel zu, die anderen an den Tischen rauchen weiter.
«Das Rauchen tötet die Jordanier!»
«Wir rauchen sehr viel» gibt ein Mann, Mitte 40, zu. Seine beiden Kollegen nicken. Auf dem kleinen runden Tisch steht inmitten leerer Teller ein halbvoller Aschenbecher. «Das Rauchen tötet die Jordanier! Mehr als 80 Prozent rauchen – eine Katastrophe!»
Der Mann, der das sagt, hat eine Herzoperation durchgemacht. «Mir haben sie fünf Stents ins Herz reingemacht, und mein Freund hier ist todkrank», sagt der Mann. Ob er das im Scherz sagt oder ernst meint? Sein Freund lacht nur. Beide rauchen seit ihrer Jugend.
«Es gibt in Jordanien keine Präventionsprogramme», sagen die Raucher. Es gibt zwar ein Departement für Tabakkontrolle, aber dieses war schon 2018, vor Corona, mit nur drei Beamten unterbesetzt. Mit den Corona-Massnahmen 2020 weitete die Regierung die geltenden Rauchverbote in der öffentlichen Verwaltung und in Einkaufszentren auf Cafés und Restaurants aus.
Inzwischen wird in diesen jedoch wieder gequalmt. Die monatelangen Corona-Ausgangssperren haben der Bevölkerung psychisch und wirtschaftlich zugesetzt. Deshalb rauchten die Menschen jetzt noch mehr, sagt der Mittvierziger. «Wer vor Corona eine Wasserpfeife pro Tag rauchte, raucht jetzt zwei – weil er nur herumsitzt.» Obwohl die meisten Jordanierinnen und Jordanier im arbeitsfähigen Alter sind, hat nur jeder Dritte eine Anstellung.
Rauchen als Teil der Alltagskultur
An einem Tisch in der hintersten Ecke der Bar, neben einer Zigarettenwerbung, sitzen eine junge Ukrainerin und zwei jubelnde Jordanier. «Sie will, dass die Schweiz gewinnt – wir sind für Brasilien», lacht einer der jungen Männer. Alle rauchen. Auch sie geben dafür dem Stress mit der schlechten Wirtschaft und mangelnder Prävention die Schuld.
Von klein auf lernten sie, dass Rauchen einfach zur Alltagskultur gehöre. Obwohl es auch in Jordanien verboten wäre, Tabak an unter 18-Jährige zu verkaufen. Der ältere der beiden Männer ist 30. Er versucht, mit dem Rauchen aufzuhören, weil das Geld kaum fürs Nötigste reicht. Und weil er nicht so jung am Rauchen sterben will wie einige seiner Verwandten. «Sie starben mit 40, 45 Jahren», sagt er.
Jetzt rauche er noch maximal drei Zigaretten am Tag. Zwei raucht er allerdings nur schon während des kurzen Interviews. Damit in Jordanien weniger geraucht wird, bräuchten sie Hilfe, sagen die Männer. «Die Regierung muss für bessere Lebensbedingungen sorgen.»
Das WM-Spiel Schweiz – Brasilien geht mit 0:1 zu Ende. Die Weltgesundheitsorganisation hat eine Kampagne lanciert für eine gesunde, tabakfreie WM. In Jordanien wird diese nicht zur Kenntnis genommen. Schon gar nicht während der WM, welche den Menschen eine Ablenkung von ihren Alltagsproblemen bietet.