Die kalte Jahreszeit steht bevor – und mit ihr die Frage, wie sich die Kurve um die Covidinfektionen entwickeln wird. Viele Verläufe sind glimpflich, manchmal sind stärkere Symptome zu beobachten.
In seltenen Fällen leiden Personen unter Long Covid. Nun ist in den USA zu diesem Thema eine Studie erschienen. Ihre Grundaussage: Wer sich wiederholt mit dem Virus infiziert, läuft eher Gefahr, später an Langzeitfolgen zu leiden. Huldrych Günthard, Leitender Arzt Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene vom Universitätsspital Zürich, ordnet ein.
SRF News: Herr Günthard, wie schätzen Sie die Qualität der Studie ein?
Huldrych Günthard: Gut. Die Stichproben sind sehr gross, die Datenerhebung ist standardisiert – unterliegt also wissenschaftlich genormten Parametern – und fusst auf einer zuverlässigen Quelle, der elektronischen Krankengeschichten des Veterans Affairs Medical Center Systems. Auch die Aussage, dass das Risiko, an Long Covid zu erkranken, bei wiederholten Infektionen zunimmt, halte ich bei der vorliegenden Patientenpopulation für plausibel.
Was sind die Schwächen der Studie?
Viele der teilnehmenden Personen sind chronisch krank. So hat etwa ein Drittel der Probandinnen und Probanden Diabetes. Auch wegen des Untersuchungszeitraums von März 2020 bis September 2021 können nicht vorbehaltlos Schlüsse gemacht werden, denn damals waren Alpha oder Delta dominant, heute ist es die mildere, aber ansteckendere Variante Omikron.
Zudem scheint mir unklar, wann die Infektionen der Testpersonen stattgefunden haben. Fand zuerst eine Infektion statt und es wurde dann geimpft, oder umgekehrt? Dennoch gehe ich davon aus, dass die Ergebnisse durch das peer-review – also sozusagen der Qualitätskontrolle der Forschungskollegen – kommen. Die Studie hat ihren Wert.
Es wurden Veteraninnen und Veteranen des US-Militärs befragt. Können die Ergebnisse vorbehaltlos auf die Schweiz übertragen werden?
Nicht ganz. Einerseits gibt es Faktoren, die sich mit der Schweiz vergleichen lassen. Veteraninnen und Veteranen aus der US-amerikanischen Armee sind bis ans Lebensende versichert. Das bedeutet, dass sie in einem guten Gesundheitssystem eingebettet sind, was dafür spricht, dass die Ergebnisse auch für die Schweiz gelten könnten.
Andererseits gilt zu beachten, dass die Schweizer Bevölkerung in der Regel einen gesünderen Lebensstil pflegt. US-Amerikaner und insbesondere auch Veteranen sind in der Regel viel häufiger übergewichtig, was generell ein wichtiger Risikofaktor für schwerere Verläufe ist. Auch die ethnische Zusammensetzung ist nicht gleich. Unter den Veteranen hat es etwa viele Afroamerikaner, eine Gruppe, die es in der Schweiz klar weniger gibt. Auch sind Frauen in der Studie mit rund zehn Prozent massiv untervertreten.
Was hat Sie an der Studie überrascht?
Sicherlich die vorläufige Erkenntnis, dass die Impfung anscheinend nur einen geringfügigen Effekt auf die Wahrscheinlichkeit hat, Langzeitfolgen bei mehrmaligen Infektionen zu verhindern.
Dass die Impfung grundsätzlich vor schweren Verläufen schützt, stellt die Studie nicht in Abrede.
Ich will jedoch betonen: Die allfälligen Nebenfolgen einer Impfung sind in fast allen Fällen weniger schlimm als eine natürliche Infektion mit dem Virus. Dass die Impfung grundsätzlich vor schweren Verläufen schützt, stellt die Studie nämlich nicht in Abrede.
Das Gespräch führte Pascal Studer.