Eine neue Studie in der Demenzforschung sorgt seit Anfang Woche für Aufsehen. Die Erkenntnis eines spanischen Forschungsteams lässt sich zugespitzt wie folgt zusammenfassen: Wer das sogenannte Apo-E4-Gen doppelt vererbt bekommen hat, kriegt fast sicher Alzheimer. Das heisst: Haben das Gen Mutter und Vater, hat das Kind ein erhöhtes Alzheimer-Risiko. Welche Auswirkungen haben diese Erkenntnisse auf eine mögliche Heilung der Demenzerkrankung? Und welchen Nutzen zieht die Forschung daraus? Das erklärt Neurologe Ansgar Felbecker vom Kantonsspital St. Gallen.
SRF News: Was hat es mit dem sogenannten «Alzheimer-Gen», wie man vielerorts lesen kann, auf sich?
Ansgar Felbecker: Dieses Alzheimer-Gen, das sogenannte Apo E4, ist nicht neu. Es ist schon lange bekannt. Die Einschätzung aber, dass das nun ein Gen ist, das Alzheimer – wenn es in entsprechender Ausprägung vorhanden ist – praktisch immer verursacht, ist etwas Neues. Früher dachten wir, das ist nur ein sogenanntes Risikogen für eine mögliche Erkrankung.
Sie erkannten, dass Patienten, die zwei Allele von diesem Gen haben, ab 65 ein extrem hohes Risiko haben, Alzheimer zu entwickeln.
Wie lässt sich erklären, dass dieses Alzheimer-Gen tatsächlich zu Alzheimer führen kann?
Die Autoren dieser Studie haben erstmals eine grosse Anzahl Patientinnen und Patienten untersucht und dies konsequent – grösstenteils gar bis zum Tod – beobachtet, sodass sie auch nach dem Tod die Gehirne untersuchen konnten. Sie erkannten, dass Patienten, die zwei Allele dieses Gens in ihrem Genom haben, ab 65 Jahren ein extrem hohes Risiko haben, Alzheimer zu entwickeln.
Wie kann es dazu kommen, diese zwei Allele zu besitzen?
In der Genetik ist es so, dass Lebewesen wie der Mensch immer zwei Kopien unseres Genoms haben. Dann kann es vorkommen, dass beispielsweise bei einer Krankheit nur ein Teil des Genoms, also ein Allel, verändert ist – so bei Apo-E4. Wenn nur die eine Hälfte des Chromosoms das «kranke» Gen hat, ist es weniger dramatisch. Man besitzt ein leicht erhöhtes Risiko, irgendwann an Alzheimer zu erkranken. Wenn man aber beide Allele – also beide Teile vom Genom dieses APO-E4-Gens – in sich trägt, ist das schlecht. Dann hat man eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, Alzheimer zu entwickeln.
Das Gen kann auch bei einem Elternteil vorhanden sein, ohne dass diese Person an Alzheimer erkrankt. Soll man sich nun auf dieses Gen testen lassen?
Nein, auf keinen Fall. In der Medizin machen Ärztinnen und Ärzte in der Regel nur Tests, wenn sie auch eine Konsequenz für den Patienten haben. Diese Konsequenz ist im Moment in dem Bereich noch nicht gegeben. Würden wir zum Beispiel eine Bestimmung dieses APO-E4-Gens machen, dann hat das – Stand heute – keine Auswirkungen auf die Behandlung des Patienten oder der Patientin.
Die Erkenntnisse der Studie sind wichtig, wenn wir sie in zukünftige Studien im Hinblick auf neue Medikamente einbauen könnten.
Es gibt noch keine präventive Therapie gegen Demenz. Was ist der Stand der Forschung?
Man muss zwischen Prävention und Behandlung unterscheiden. In der Prävention, bei der man einen Teil der Demenzfälle hinauszögern kann, geben wir allgemeine Ratschläge, schauen, dass die Patienten körperlich aktiv sind, dass eine Hörminderung vermieden beziehungsweise behandelt wird und so weiter. Wenn die Demenz bereits da ist, gibt es symptomatische Behandlungsmassnahmen. Diese gab es schon und sie sind noch immer sehr wirksam. Aber das ist keine Heilung. Das ist im Demenzbereich bis heute nicht möglich. Aber mit den symptomatischen Therapien können wir viel Lebensqualität verbessern.
Was können die Erkenntnisse aus der neuen Studie in Bezug auf eine in Zukunft mögliche Heilung von Demenz beitragen?
Die Erkenntnisse der Studie sind in der Tat wichtig. Besonders dann, wenn wir sie in zukünftige Studien auch im Hinblick auf neue Medikamente einbauen könnten. Aber weitergehen würde ich im Moment nicht. Bei der Behandlung der Patientinnen und Patienten haben die neuen Erkenntnisse noch einen sehr geringen Stellenwert. Es ist vor allem für die zukünftige Forschung interessant.
Das Gespräch führte Silvia Staub.