Das Wichtigste in Kürze
- Gurken, Tomaten, Peperoni und Co. wachsen in riesigen Gewächshäusern in der spanischen Region um Almeria.
- «Kassensturz»-Recherchen zeigen: Mindestlöhne werden nicht eingehalten, für die Arbeiter stehen oft nicht einmal sanitäre Anlagen zur Verfügung.
- Die Produzenten schieben die Verantwortung ab: Die Grossverteiler würden die Preise immer weiter drücken.
- Migros und Coop reagieren erstaunt: Diese Zustände seien «inakzeptabel».
«Ich arbeite 8 Stunden am Tag, für 32 Euro.» Abdu Rajaman Diop aus Senegal kam vor zehn Jahren als Flüchtling in die Region Almeria. Ohne Papiere. Heute hat er Arbeit, schickt jeden Monat etwas Geld nach Hause. Deshalb ist er hier.
Selbst gönnt er sich fast nichts. In seinem Portemonnaie hat er Mitte Monat noch 13 Euro. Das muss bis zum Monatsende fürs Essen reichen. Um über die Runden zu kommen lässt er sich Lebensmittel von seiner Frau im Senegal schicken.
Ohne Geld, ohne Papiere, ohne Aussichten
Aussicht auf eine bessere Zukunft hat er nicht. Noch heute ist er ohne festen Anstellungsvertrag und ohne geregelte Sozialleistungen. Zurück in seine Heimat kann er auch nicht, er hat keine Papiere.
So wie Abdu ergeht es den meisten, die in den Gewächshäusern Almerias arbeiten. Eigentlich hat die Branche einen Mindestlohn von 46 Euro vereinbart. Doch Landarbeiter verdienen im Schnitt lediglich zwischen 32 und 38 Euro pro Tag, sagt José Garcia Cueva von der lokalen Gewerkschaft SOC. Deutlich weniger als gesetzlich vorgeschrieben.
Stellungnahmen Grossverteiler
Schweizer Grossverteiler: «Inakzeptable Zustände»
Die «Kassensturz»-Recherchen vor Ort zeigen: Auch Gemüseproduzenten, die in die Schweiz liefern, halten sich nicht an den vorgeschriebenen Mindestlohn. «Kassensturz» begegnet mehreren Arbeitern, die für Vicasol, eine Kooperative von 900 Kleinproduzenten, Gemüse pflücken. Vicasol liefert auch in die Schweiz, unter anderem an Migros, Coop und Lidl.
An Aldi liefert der Grossproduzent Agrupaejido. Auch er steht in der Kritik, Gemüse aus illegal tiefer Lohnarbeit in den Export zu liefern.
Die Gewächshäuser in Almeria gelten seit Jahren als problematisch. Die Grossverteiler, allen voran Migros und Coop, nahmen die Kritik schon früh ernst und verlangten von ihren Lieferanten, soziale Mindeststandards einzuhalten. Umso erstaunter zeigen sie sich über die aktuellen «Funde» des «Kassensturz». Ihr Kommentar dazu unisono: «Inakzeptable Zustände.»
Der Trick der Produzenten: Arbeiten ja, zahlen nein
Gibt es keine Kontrollen? «Doch», sagt Gewerkschafter José Garcia Cueva, aber sie seien leicht zu umgehen. Auf den Arbeitsrapporten würden die Gemüseproduzenten zwar den korrekten Tageslohn von 46 Euro ausweisen. Der Betrug liege aber bei den Arbeitstagen: Auf dem Monatsrapport stehen beispielsweise 15 Arbeitstage, tatsächlich seien aber 25 geleistet worden. 10 Tage unterschlage der Gemüseproduzent kaltblütig. Keine Kontrolle könne den Betrug im Nachhinein feststellen.
In den meisten Fällen sind die Kontrollen nichts wert. Es ist einfach zu tricksen.
Wer sich wehre, dem drohe die Kündigung. Denn an bereitwilligen Arbeitskräften mangelt es nicht in der Region Almeria. In Plastikhütten, ohne Strom und Wasser, leben tausende von geflüchteten Menschen vom afrikanischen Kontinent. Mittellos und bereit, jede noch so harte, unterbezahlte Arbeit anzunehmen.
Der Vorwurf an die Grossverteiler: Preisdrückerei
«Kassensturz» konfrontierte vor Ort auch die Gemüseproduzenten Vicasol und Agrupaejido mit ihren Tricksereien. Doch Vicasol blockt ab: Kein Interesse. Auch Agrupaejido nimmt offiziell keine Stellung. Im Gespräch gab der Firmenvertreter aber die Schuld weiter an die Grossverteiler. Sie würden die Zitrone immer noch mehr auspressen und beste Ware zu minimalen Preisen verlangen. Da müsse man sich nicht wundern, wenn die Gemüseproduzenten ihren Landarbeitern keine besseren Löhne zahlen könnten.
Es gebe nur noch wenig Spielraum zum Verhandeln, bestätigt auch Enrique Vargas Maldonado, Präsident von Costa de Almeria, einem anderen grossen Gemüseproduzenten. «Die einzige Möglichkeit, die du hast, ist: liefern oder nicht.»
Aber nicht zu liefern könne sich niemand leisten, weil das ganze Geschäft heute von den grossen Supermarktketten beherrscht werde.
Fehlende Toiletten: «Ich mach’s hier auf dem Feld»
Die Folge: die Gemüseproduzenten sparen Kosten, wo auch immer möglich. Bei den Löhnen ihrer Angestellten, auch bei Schutzkleidungen für Spritzarbeiten mit Chemikalien und sogar beim Allernötigsten: Es gebe keine Toiletten in der Nähe der Felder, sowohl bei Vicasol – wie auch bei Agrupaejido-Betrieben.
Mehrere Arbeiter beklagen sich: «Die Frauen gehen auf die Strasse, um ihr Geschäft zu verrichten.» Und ein Tomatenpflücker: «Wenn ich muss, wohin gehe ich dann? Ich mach’s hier auf dem Feld.»
Detailhändler: Preise sind Resultat von Verhandlungen
Migros und Coop betonen, sie führten selbst Kontrollen bei ihren Lieferanten durch. Coop schreibt, man nehme die Recherchen von «Kassensturz» zum Anlass die Situation vor Ort noch einmal «umgehend intensiv» zu prüfen. Auch Migros schreibt, man gehe den Vorwürfen unverzüglich nach.
Zum Vorwurf, man diktiere die Preise, entgegnen Coop und Migros, die Preise seien das Resultat von Verhandlungen und würden in längerfristigen Vereinbarungen festgelegt.
Aldi und Lidl verweisen auf die Sozialstandards, auf welche sich ihre Lieferanten verpflichten würden.
Tomaten, Gurken, Zucchetti, Peperoni und Auberginen: Unsere Läden sind zurzeit voll mit Gemüse aus Südspanien. Für ein Kilo Tomaten zahlen wir im Laden drei bis fünf Franken. Die wahren Kosten aber zahlen die Landarbeiter in den Gewächshäusern.
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