Chinas Präsident Xi Jinping versprach im Vorfeld Spiele, die dem olympischen Motto gerecht werden: «schneller, höher, stärker – gemeinsam». Doch welche Bedeutung hat Sport in China überhaupt – und wie hat sich diese über die Zeit verändert? Der freie Journalist und Buchautor Ronny Blaschke erklärt, warum sportliches Leistungsdenken einst als «kapitalistisch» gebrandmarkt war – und wie sich die Kommunistische Partei heute mit Sporthelden schmückt.
SRF News: Welche Bedeutung hat Sport für China heute?
Ronny Blaschke: Es ist historisch, dass Peking als erste Stadt Olympische Sommer- und Winterspiele ausrichtet. Die Sommerspiele 2008 waren eher das Schaufenster für die globalen Machtambitionen, die China entwickelt hat. Die Winterspiele sind ohnehin kleiner, und diesmal richten sie sich eher nach innen.
Mit der Kulturrevolution unter Mao – diesem radikalen gesellschaftlichen Umbau mit Millionen Toten – geriet der Sport komplett in Verruf.
Zum einen will China einen Wintertourismus aufbauen. Xi Jinping sprach von 300 Millionen Wintersportlern, die man erreichen möchte. Es sollen neue Infrastruktur, Bahnlinien und hunderte Skigebiete entstehen. Zudem kann ein solches Sportereignis in einer Gesellschaft ohne freie Medien ein Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugen – es kann für patriotische Töne sorgen.
Welche Bedeutung hatte Sport, nachdem die Kommunistische Partei 1949 an die Macht gekommen war?
Lange Jahre war China überhaupt nicht vertreten, wenn es um die grossen Sporterfolge ging. Bei den Sommerspielen 1956 in Melbourne, sieben Jahre nach Ende des Bürgerkriegs in China, war die Volksrepublik sehr erbost darüber, dass Taiwan ebenfalls mitmachen durfte. Daraufhin hat man sich frustriert und trotzig aus dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) zurückgezogen.
Mit der Kulturrevolution unter Mao – diesem radikalen gesellschaftlichen Umbau mit Millionen Toten – geriet der Sport, das Medaillensammeln, die Leistungsgesellschaft komplett in Verruf. Viele Rotgardisten dämonisierten die Funktionäre, Trainer und Sportler als Kapitalisten. Das führte dazu, dass einige Tischtennisspieler, die lange Vorbilder gewesen waren, in den Suizid getrieben wurden.
Wie ist das patriotische Erfolgsstreben wieder zurück in den Sport gekommen?
China hat sich dann für Wirtschaft und Politik geöffnet, übrigens auch durch die Ping-Pong-Diplomatie. Die Volksrepublik ist nicht nur den Vereinten Nationen, sondern 1979 auch dem IOC beigetreten. Der grosse Durchbruch für China im Sport kam aber erst mit den heimischen Sommerspielen in Peking 2008. Spätestens seit damals ist China eine sportliche Supermacht.
Seither gelten Sportlerinnen und Sportler auch wieder als Vorbilder in China?
Das ist die interessante Frage. Aus dem Sport kennen wir die grossen Einzelkönner wie Messi oder Ronaldo. Aber darf es das im Kommunismus überhaupt geben? Der chinesische Basketballer Yao Ming etwa ist in der nordamerikanischen Profiliga NBA reich geworden – auch mit westlichen Sponsoren. Trotzdem ist er in seiner Heimat noch wohlgelitten und darf als Botschafter für die Olympischen Spiele fungieren. Er ist allerdings politisch auch nicht sehr kritisch, man kann den Spagat also wahren.
Die Tennisspielerin Li Na hingegen hat 2011 als erste Asiatin die French Open gewonnen. Sie wollte das nicht mitmachen. Sie hat sich bei ihren Fans und Betreuern bedankt – aber nicht bei der Nation, der Kommunistischen Partei. Deswegen wird sie auch heute noch eher aus der Geschichtsschreibung herausgehalten. Niemand darf mehr strahlen als das System – und das gilt auch für Sportler.
Das Gespräch führte Sandro Della Torre.