«Es begann harmlos, jetzt glaubt mein Freund an die flache Erde», erzählt René. «Er schickte mir regelmässig Material, meistens Youtube-Vorträge mit angeblich geheimen Wissensinhalten. Auf meine Frage, ob er mich damit veräppeln wolle, antwortete er nur: Nein, wieso? Das ist doch sehr interessant. Du kannst mir ja gerne das Gegenteil beweisen», erinnert sich René. Der Freund des 33-jährigen René, nennen wir ihn Max, glaubt an Verschwörungstheorien.
Max wohnt in der Schweiz, hat studiert, einen guten Job und kennt René seit über 20 Jahren. Vor einem halben Jahr hat sich die Freundschaft der beiden Männer jedoch stark verändert.
Es sei schwer zu sagen, wann es genau angefangen habe, sagt René. «Max war alternativen Erklärungen zur Welt schon immer zugeneigt. Früher war das mehr im Bereich Esoterik und Okkultismus. Seit ungefähr zwei Jahren hat es aber ein anderes Ausmass angenommen.» Max sei in immer schrägere Theorien abgedriftet.
Wie geht man mit «Verschwörern» um?
Max ist ein Anhänger der sogenannten «Flat-Earth»-Bewegung. Sein Glaube an alternative Theorien ist stark ausgeprägt und macht den Umgang mit ihm schwierig.
«Mir fällt es zunehmend schwer, ihn wirklich ernst zu nehmen. Die Momente, wo wir uns freundschaftlich begegnen und uns auf Augenhöhe austauschen können, sind anstrengender und seltener geworden. Man kann mit Max kaum mehr ein Gespräch führen, ohne letzten Endes auf das Thema flache Erde zu kommen», sagt René.
Max ist kein Einzelfall. In Krisenzeiten, wie etwa während der Corona-Pandemie, machen Fake News und Desinformation besonders stark die Runde. Menschen suchen in ungewissen Zeiten nach einfachen Antworten, die ihnen Verschwörungstheorien oft unkompliziert und schnell liefern können.
Das bestätigt Dieter Sträuli. Der Psychologe hat an der Universität Zürich unter anderem zu Verschwörungstheorien geforscht und ist Vorstandsmitglied der Fachstelle für Sektenfragen «Infosekta».
«Es ist erfahrungsgemäss sehr schwierig, bei Leuten, die an Verschwörungstheorien glauben, eine Meinungsänderung zu erzielen. Ihrem Glauben widersprechen zwar viele Fakten, doch für sie hat das einen anderen Stellenwert. Für sie ist der Glaube Ausdruck einer Deutungshoheit. Sie sagen, was Sache ist. Durch ihre wilden Theorien legen sie sich mit den etablierten Wissenschaften an», erklärt Sträuli.
Der Verschwörungstheoretiker ist ein bisschen wie ein Sektenmitglied.
Wer an Verschwörungstheorien glaubt, hat sich oft detailliert ins Thema eingelesen und weiss auf jedes Gegenargument eine Antwort. Das erschwert es für Laien, auf sinnvolle Art und Weise zu kontern. Eine Auseinandersetzung mit Menschen, die an eine andere «Realität» glauben, gebe es daher kaum mehr, betont der Psychologe.
«Der Verschwörungstheoretiker ist ein bisschen wie ein Sektenmitglied. Irgendwann stellt er die Bedingung: Entweder bekehrst du dich zu meiner Variante des Glaubens oder wir können nicht mehr miteinander kommunizieren.»
Dennoch sei es gut, wenn Freunde und Verwandte versuchen würden, den Kontakt aufrechtzuerhalten. Sträuli empfiehlt, das Thema anzusprechen, aber konkrete Umgangsregeln aufzustellen und stundenlange Diskussionen zu vermeiden. Wichtig sei zudem, das Gegenüber ernst zu nehmen – nicht aber seine Verschwörungstheorie.
Auch bezüglich Coronavirus kursieren die wildesten Erklärungen. Wer die Corona-Massnahmen der Behörden sachlich kritisiert, ist noch kein Verschwörungstheoretiker. Wer aber dahinter einen globalen Plan zur Knechtung der Massen sieht, steckt im Sumpf der Verschwörungstheorien.
Leugnet ein Freund, eine Freundin oder ein Familienmitglied noch immer die Existenz des Coronavirus, sei es wichtig, sich von dieser Haltung klar abzugrenzen, betont der Experte. «Menschen, die sich noch immer weigern, eine Maske zu tragen, gefährden mit ihrem Verhalten nämlich nicht nur sich selbst, sondern auch andere Leute.»
Verschwörungstheoretiker sind derzeit oft an Corona-Demonstrationen anzutreffen, doch auch im Internet kursiert eine Vielzahl an Fehlinformationen. Das bemerkt auch Sekundarlehrerin Judith. Ihre Schülerinnen und Schüler glaubten schnell alles, was sie auf Youtube oder Instagram sehen – je wilder und abwegiger die Theorie, desto glaubhafter für die sensationslustigen Jugendlichen, schreibt die Lehrerin in einer E-Mail an SRF News.
Lernen, Theorie und Realität zu trennen
Auch hier rät Dieter Sträuli dazu, das Thema Verschwörungstheorien in der Klasse anzusprechen. «Die Jugendlichen geniessen diese sensationellen Informationen – und das ist auch in Ordnung. Sie müssen aber lernen, dass diese Theorien nichts mit der Realität zu tun haben. Die Erde ist nun einmal nicht flach.»
Doch was ist aus René und Max geworden, der an die flache Erde glaubt? Die beiden haben aktuell keinen Kontakt mehr. «Ich habe Max noch mehrmals Nachweise geschickt, dass die Erde eben doch rund ist und nicht flach. Auf meine letzten Nachrichten habe ich aber keine Antwort mehr erhalten», sagt René.