Sie nennen sich «digitale Krieger», «Corona-Rebellen», «Q-Anons». Seit der Coronakrise finden ihre Theorien ein Publikum, das mitten in der Gesellschaft steht. «Ich gehöre zwar zu dieser Bewegung, aber ich empfinde mich gar nicht als Verschwörungstheoretiker», sagt Markus Meyer, Amtsrichter in Olten. Maskenpflicht? Lehnt er ab. Gälte eine solche im Gerichtssaal, würde er sich verweigern: «Dann würde ich in den Ausstand treten.»
Richter für Meinungsfreiheit
Meyer unterstützt öffentlich die deutschen «Ärzte für Aufklärung». Eine Gruppe von Medizinern, welche an den Anti-Corona-Demos in Berlin an vorderster Front dabei waren. Sie vergleichen die Umsetzung der Schutzmassnahmen mit den Anfängen des Nationalsozialismus und halten die Politiker für korrumpiert.
Und Amtsrichter Meyer? Er lehnt es ab, sich davon zu distanzieren. Generell hält er auch sehr umstrittene Meinungen für unproblematisch, auch in seinem Amt: «Jeder Richter hat seine Meinung, und die wird auch in seine Arbeit im Gericht einfliessen, das ist normal.»
Auch die Bundesstrafrichterin Andrea Blum ist auf Facebook zum Thema Corona-Massnahmen aktiv. Sie teilte in öffentlich zugänglichen Gruppen beispielsweise einen Beitrag des Senders «kla.tv» zu einem angeblich bereits fest geplanten zweiten Lockdown in Deutschland. Produziert werden die Inhalte von «kla.tv» unter anderem von Ivo Sasek, Kopf einer sektenähnlichen Gemeinschaft aus der Ostschweiz.
Mit extremistischen Theorien habe ich nichts zu tun. Meine Äusserungen auf Facebook waren private Diskussionsbeiträge.
Weiter teilte die Bundesstrafrichterin einen Artikel von KenFM, in dem von einer angeblichen Zwangsimpfung gewarnt wird, bei der allein in Deutschland 80'000 Menschen sterben würden.
Die Inhalte auf «KenFM» werden von verschiedenen Beobachtern als verschwörungstheoretisch eingestuft. Nach den Beiträgen gefragt sagt Andrea Blum: «Mit extremistischen Theorien habe ich nichts zu tun. Meine Äusserungen auf Facebook waren private Diskussionsbeiträge.»
Kritiker haben Zulauf
Zweifel am Nutzen der Masken, den Corona-Zahlen und der Politik des Bundes sind verbreitet. Die Grenze zwischen sachlicher Kritik und Verschwörungstheorien verschwimmt. Die Bewegung ist sehr heterogen, besteht aus verschiedensten Gruppierungen wie Impfgegnern, Esoterikern, Rechtsextremen – und vermehrt auch aus Menschen mitten in der Gesellschaft.
Wer sich der Bewegung entgegenstellt, muss mit Hass und Beschimpfung rechnen. Das erfuhr auch die Risikopatientin Silvia Jauch. «Ich wurde unglaublich angegriffen: Ich solle doch in Therapie gehen oder man solle mich schlagen, bis ich nicht mehr denken könne.»
Ähnlich ging es auch Nationalrätin Ruth Humbel an einer Podiumsveranstaltung. Pfiffe, Buhrufe, Schmähungen: «Es war überhaupt keine Diskussionskultur», sagt Humbel. So etwas habe sie in ihrer langjährigen Karriere kaum erlebt.
Die Menschheit hat genügend erfahren, was Glaubenskriege anrichten können in den letzten Jahrhunderten.
Auch Marcel Tanner, Epidemiologe und Mitglied der Covid-19-Taskforce des Bundes, stellte sich den Corona-Skeptikern. Er sucht weiterhin den Dialog. Denn es gehe um Information, nicht um Glaubensfragen.
«Die Menschheit hat genügend erfahren, was Glaubenskriege anrichten können in den letzten Jahrhunderten», so Tanner. Die Wissenschaft müsse sich noch besser erklären, ist der Epidemiologe überzeugt.