André Häfliger, Cheftaucher der Luzerner Polizei, zieht seine Tauchmaske an. Er soll am Grund des Rotsees nach Handgranaten suchen. Besorgte Passanten haben sich bei der Polizei gemeldet, dass die da offen herumliegen würden.
Das trübe Wasser des Rotsees macht Häfligers Aufgabe eine anspruchsvolle. «Die Sicht im See ist schlecht», sagt Häfliger. «Obwohl wir die Granaten zuvor markiert haben, ist es schwierig, sie zu finden.» Kommt hinzu, dass sie teilweise unter einer Sand- und Schlickschicht versteckt sind – Ablagerungen, die sich mit der Zeit angesammelt haben.
Die Handgranaten liegen schon seit über 100 Jahren auf dem Seegrund. Sie liegen da, seit am 20. Oktober 1916 ein Munitionsdepot am Ufer explodierte. Ein tragisches Ereignis, bei dem fünf junge Männer ihr Leben verloren. Der Bote vom Untersee schrieb damals: «Die Gewalt der Explosion war so stark, dass durch den Luftdruck die Scheiben im Seehof, der auf der anderen Seite des Rotsees liegt, zersplittert wurden.»
Bergungen immer wieder nötig
Durch die Druckwelle seien auch etwa 50'000 Handgranaten in die Umgebung der Munitionsfabrik geschleudert worden. Tausende landeten im See. Viele liegen bis heute da, obwohl die Polizei bereits zum vierten Mal nach ihnen taucht. Auch heute konnte André Häfligers Truppe nicht alle verbleibenden Granaten bergen.
Die gute Nachricht: Solange sie im Wasser bleiben, sind sie relativ harmlos. «Das Zündsystem ist nass und kann nicht zur Auslösung gebracht werden», heisst es in einer Mitteilung der Polizei. Gefährlich werde es, wenn jemand die Granaten aus dem Wasser hole. Wenn sie trocken sind, könnten sie wieder explodieren.
Tonnenweise Munition in Schweizer Seen
Es sei eine ganz schlechte Idee, Munition vom Seegrund nach Hause zu holen, warnt auch Bruno Locher, der beim VBS für Umweltfragen verantwortlich ist. «Sollten Sie in einem See auf Munition stossen, fassen Sie diese ja nicht an, sondern melden Sie den Fund bei der Polizei.»
Locher muss es wissen, das VBS hat viel Erfahrung mit alter Munition am Grund von Schweizer Seen. Der Rotsee ist bei Weitem nicht der einzige, der solche Altlasten hat. Bis in die 1960er-Jahre war es üblich, dass Munitionsfabriken ihre überschüssigen oder defekten Patronen, Granaten und anderen Geschosse im Wasser entsorgten. Sie liegen grösstenteils bis heute noch da.
Von der Munition, welche die bundeseigenen Betriebe versenkten, weiss man ziemlich genau, wo sie liegt und wie viel es ist. Im Thuner-, Brienzer- und Vierwaldstättersee entsorgte die Armee weitaus am meisten Munition – über 8000 Tonnen sind es zusammengerechnet. Weiter weiss man, dass auch private Munitionsfabriken ihre Abfälle im Wasser entsorgten – etwa im Genfer- oder Zürichsee.
Munition bleibt im Wasser
Dass sie trotz dieser Kenntnis da liegen bleibt, hat einen Grund. «Es ist die sicherste Strategie», sagt Bruno Locher vom VBS. «Die Munition ist grösstenteils tief im Sediment eingeschlossen. Würde man sie herausholen, bedeutete das sowohl ein höheres Explosionsrisiko, wie auch ein höheres Risiko für die Umwelt, wenn etwa Schadstoffe austreten würden.»
Zudem würden regelmässig Wasser- und Sedimentsproben genommen, um zu kontrollieren, ob doch Schadstoffe austreten. Erst kürzlich gab das VBS nach einer Kontrolle erneut Entwarnung. Aktiv werden Armee und Polizei einzig, wenn die Munition zu nahe ans Ufer geschwemmt wird. Wie etwa beim Rotsee.