Im Park des Stockalperschlosses in Brig erklärt Bundespräsidentin Viola Amherd beim 1.-August-Gespräch, was die Schweiz bewegt, was sie sich für die Bürgerinnen und Bürger wünscht und weshalb Patriotismus auch heute noch zeitgemäss ist.
SRF News: Frau Bundesrätin, was für Erinnerungen haben Sie an den 1. August?
Viola Amherd: Am 1. August war ich meistens auf der Bettmeralp. Dort gab es immer ein Fest. Als Kind durften wir dieses mit einer Laterne besuchen – das war natürlich ein Highlight. Im Chalet haben wir die Walliser und die Schweizer Fahne aufgehängt, da hat man schon gespürt, dass die Feier einen Bezug zur eigenen Heimat hat.
Natürlich darf man zeigen, dass man zu seinem Land und dessen Werten steht.
Ist Patriotismus heute noch zeitgemäss?
Ja, ich finde schon. Wir haben die Chance, in einem Land zu leben, in dem es uns im Grossen und Ganzen gut geht. Darüber kann man sich freuen und sich bewusst sein, dass das nicht selbstverständlich ist. Natürlich darf man zeigen, dass man zu seinem Land und dessen Werten steht.
Ich wünsche der Schweiz, dass wir erkennen, dass wir das Glück haben, in einem sicheren Land zu leben.
Was feiern wir eigentlich am 1. August?
Für mich ist der 1. August ein Zeichen des Zusammenhalts in unserem Land. Es ist typisch für unser Land, dass wir keine grossen Paraden oder Staatsakte haben, bei denen Politiker im Mittelpunkt stehen. Der 1. August ist ein Volksfest, das zeigt, dass man in der Schweiz auf Augenhöhe miteinander spricht. Ich glaube, das macht unser Land aus; dass wir alle miteinander reden, auch wenn wir nicht immer einer Meinung sind.
Was wünschen Sie sich für die Schweiz?
Ich wünsche der Schweiz, dass wir erkennen, dass wir das Glück haben, in einem sicheren Land zu leben. Dass wir aber dafür sorgen müssen, dass es so bleibt. Dass wir diese Verantwortung wahrnehmen. Ich wünsche ich dem Land und allen Bürgerinnen und Bürger Mut und Zuversicht, dies weiterhin zu tun, auch wenn die Zeiten nicht immer einfach sind.
Wie geht es denn der Schweiz?
Die Schweiz ist in einer guten Lage, trotz der Krisen in den vergangenen Jahren – mit der Pandemie, mit dem Krieg in der Ukraine und den weltweiten Konflikten. Die Wirtschaft läuft gut, wir haben eine tiefe Arbeitslosenquote und im Grossen und Ganzen geht es den Menschen gut. Wir können denen helfen, die Hilfe brauchen. Natürlich spüren wir, dass weltweit grosse Unsicherheit herrscht. Doch die Schweiz ist in einer soliden, guten Situation.
Können wir uns in einer Welt mit so vielen Krisen ein politisch langsames System noch leisten?
Ja, wir haben ein System, das Stabilität garantiert. Das sicherstellt, dass eine Entscheidung, die getroffen wird, auch umgesetzt wird. Mir ist es lieber, wenn wir ein bisschen langsamer sind, dafür aber das, was wir tun, Hand und Fuss hat. Was aber stimmt: In einer Krisensituation muss man manchmal schnell handeln. Da haben wir sicher noch Verbesserungspotential.
Wir haben viele Beziehungen mit der EU. Da ist es wichtig, dass diese auf einer geregelten Basis stattfinden können.
Ein wichtiges Thema ist das Verhältnis zur EU. Es gibt Verhandlungen, aber sie laufen nicht wirklich gut.
Ich bin überzeugt, dass wir auf gutem Weg sind. Ein stabiles Verhältnis zur EU ist für die Schweiz wichtig. Sie ist unsere wichtigste Handelspartnerin, da wir geografisch mitten in Europa leben. Wir haben viele Beziehungen und da ist es wichtig, dass diese auf einer geregelten Basis stattfinden können. Deshalb brauchen die Verhandlungen eine gewisse Zeit und ich hoffe, dass wir bis Ende Jahr Lösungen finden, die für beide Seiten akzeptabel sind.
Eine weitere Knacknuss: Bei der Armee will man schneller aufrüsten, schon bis 2030. Sie haben einen Antrag für einen Zehn-Milliarden-Fonds im Bundesrat eingebracht, der nicht wahnsinnig gut ankam. Wie steht es um diesen Fonds?
Wir haben eine schwierige finanzielle Lage im Bund. Man will die Schuldenbremse streng einhalten und findet derzeit keine Lösung, wo man viele Einsparungen machen kann. Auf meinen Vorschlag hin hat der Bundesrat beschlossen, abzuwarten, welche Sparmöglichkeiten die Expertengruppe vorschlägt. Dies wird Ende August sein. Dann werden wir sehen, wie viel Spielraum wir noch haben.
Ein Highlight in diesem Halbjahr war der Ukraine-Gipfel auf dem Bürgenstock. Wie erfolgreich war er?
An der Bürgenstock-Konferenz hatten wir eine breite Beteiligung und am Ende konnten wir uns auf eine Schlusserklärung einigen. Somit war sie ein Erfolg. Es wurde beschlossen, in Zukunft drei Themen zu behandeln: die nukleare Sicherheit, die Ernährungssicherheit und die humanitäre Dimension. Zu diesen Themen will man künftig kleinere Konferenzen machen. Für die humanitäre Dimension hat sich Kanada bereits offiziell bereit erklärt, eine Konferenz zu organisieren. Die Schweiz wird sich für eine grössere Folgekonferenz weiterhin einsetzen.
Ich hoffe, dass wir weltweit wieder mehr Stabilität bekommen, in Europa, aber auch im Nahen Osten und auf dem ganzen afrikanischen Kontinent.
Blicken wir noch in die Zukunft: Was machen Sie nächstes Jahr – es gab Gerüchte, dass Sie zurücktreten werden?
Weiterarbeiten. Ich werde Ende Jahr sicher nicht zurücktreten. Wenn es irgendwann einmal so weit ist, werde ich sofort darüber informieren.
Was würden sie in Zukunft im Bundesrat anders machen, wenn Sie einen Zauberstab hätten?
Ich würde dafür sorgen, dass es keine Leaks mehr gibt. Es ist wichtig, dass ein Bundesrat unbelastet diskutieren kann. Dass man Meinungen äussern kann, die noch nicht der Weisheit letzter Schluss sind und die in Diskussionen revidiert werden können. Wenn es immer wieder Indiskretionen gibt, wird das massiv erschwert.
Sie haben vor einem Monat bei der Bundesratsreise gesagt: Politik ist wie eine holprige Passfahrt, man weiss manchmal nicht, was hinter der nächsten Kurve kommt. Was liegt hinter der nächsten Kurve?
Ich hoffe, dass wir weltweit wieder mehr Stabilität bekommen – in Europa, aber auch im Nahen Osten und auf dem ganzen afrikanischen Kontinent. Das ist jedoch eine Hoffnung. Ich glaube, dass sich das so rasch nicht normalisieren wird.
Das Gespräch führte Urs Leuthard.