Vorletzte Woche hat der Vizepräsident der EU-Kommission, Maros Sefcovic, der Schweiz einen Besuch abgestattet. In Gesprächen mit Aussenminister Ignazio Cassis, Kommissionen des Parlaments, Kantonen und den Sozialpartnern hat der ranghohe EU-Vertreter eine klare Botschaft deponiert. Die EU sei gewillt, bis spätestens im Sommer des nächsten Jahres Verhandlungen mit der Schweiz abzuschliessen.
Zum Verhandlungspaket gehören soll unter anderem ein Stromabkommen mit der Schweiz, für das Energieminister Albert Rösti zuständig ist. Nach seinen ersten 100 Tagen im Amt macht der SVP-Bundesrat nun klar, dass es nicht so schnell gehen wird, wie sich die EU das vorstellt. Vor den Medien in Bern sagt Rösti: «Ich erachte ein Stromabkommen für wichtig. Wir müssen uns aber deshalb nicht in anderen Bereichen unter Druck setzen lassen.»
«Eckwerte» im EU-Dossier noch kein «Mandat»
Am Mittwoch hat der Bundesrat zwar von einer «positiven Dynamik» in den Sondierungsgesprächen mit der EU gesprochen. Und den Auftrag erteilt, bis Ende Juni die «Eckwerte» für ein Verhandlungsmandat auszuarbeiten. Aber «Eckwerte» sind noch kein Mandat, macht Bundesrat Rösti jetzt klar.
Rein die Verhandlungen mit der EU würden mehrere Jahre beanspruchen.
Ein Mandat müsse zuerst ausgearbeitet werden, dann fände eine breite Konsultation dazu statt. Und erst anschliessend – wenn überhaupt – würde der Bundesrat ein definitives Verhandlungsmandat verabschieden. «Falls der Bundesrat entscheidet, wieder in Verhandlungen zu treten, muss das Verhandlungsmandat überarbeitet werden. Rein die Verhandlungen würden mehrere Jahre beanspruchen.» Da mache er sich keine Illusionen, sagt der Energieminister.
Das fehlende Stromabkommen mit Brüssel ist also nicht Röstis Hauptsorge. Mehr Kummer macht ihm die drohende Stromknappheit im nächsten Winter. In diesem Winter hätten wir noch Glück gehabt, sagt der Bundesrat. Die Sparmassnahmen hätten Wirkung gezeigt. Aber die Gefahr sei nicht gebannt.
Deshalb überrascht er im Interview nach dem Medienanlass mit einer Ankündigung: «Ich will die Reservekraftwerke weiter ausbauen. Es braucht eine Sicherheit im Krisenfall.» Demnächst stehe eine entsprechende Lageanalyse an. «Wir werden die Bevölkerung rechtzeitig informieren, was es für den nächsten Winter braucht.»
Blick in «technologieoffene» Energiezukunft
Über den nächsten Winter hinaus setzt Rösti auf zusätzliche Speicherkraftwerke im Wasserkraftbereich, auf Solarenergie und auf Windkraft, wie dies mehrere Vorlagen vorsehen, die das Parlament bereits verabschiedet hat oder zurzeit berät: «Gestützt auf diese Vorlagen sollen vorerst schnellstmöglich zwei Terawattstunden Wasserspeicher für den Winter erstellt werden, zwei Terawattstunden alpine Solaranlagen und eine Terawattstunde Windenergie.»
Also insgesamt fünf Terawattstunden, wobei Rösti für diesen Ausbau fünf bis zehn Jahre veranschlagt. Zum Vergleich: Die vier Schweizer Kernkraftwerke produzieren derzeit rund 22 Terawattstunden Strom pro Jahr, also mehr als das Vierfache.
Was über diesen Zeithorizont hinausgeht, will der Energieminister bewusst offenlassen: «Langfristig werden wir sehen, welche Technologien sich für die grosse Menge durchsetzen. Ich finde, die Schweiz sollte hier für alle Technologien offen sein.» Ohne, dass er es sagt, ist klar, was Bundesrat Rösti damit meint: Auch die Kernenergie soll langfristig für die Schweiz eine Option bleiben.