Eine Fahrt mit der Zahnradbahn von Vitznau auf die Rigi geht auch nach 150 Jahren noch unter die Haut. Das stellte am Freitag auch Bundesrätin Simonetta Sommaruga fest, die zum Jubiläum der Bahn in einem historischen Zug den Berg hoch ruckelte. «Ich stand in der Nähe der Dampflok und spürte ihre Kraft und den Pioniergeist dahinter», sagte sie danach sichtlich beeindruckt.
Beeindruckt waren auch die ersten Passagiere im 19. Jahrhundert. Queen Victoria liess sich 1868 noch in einer Sänfte die Rigi hochtragen, drei Jahre später hätte sie einfach in die Bahn steigen können. Das war neu, das war eine technische Meisterleistung – und das war auch ein bisschen beängstigend.
Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain beschrieb 1880 seine Talfahrt mit der Bahn als «eine Sache, bei der man Gänsehaut bekommt»: «Unbewusst bremste ich, genau wie meine Nachbarn, sosehr ich konnte, und verlegte mein Gewicht nach hinten.» Später, während der Fahrt über die filigrane Schnurrtobelbrücke, scheint Twain mit dem Leben so gut wie abgeschlossen zu haben – jedenfalls, so schrieb er, fielen einem auf der Brücke «mühelos alle Sünden ein, und man bereut sie auch».
Startschuss für den modernen Tourismus
Die Rigi war zwar schon vor 1871 eine Art Modeberg gewesen, von Goethe beschrieben, von James Turner gemalt, von Angehörigen der europäischen Oberschicht erklommen. Doch die Bahn sorgte dafür, das die Rigi definitiv ihren festen Platz in den Reiseführern bekam: Bereits im Eröffnungsjahr transportierte die Zahnradbahn rund 60'000 Gäste.
Das freute nicht alle. Aus dem verschlafenen Vitznau wurde auf einmal ein Umsteigeort des Massentourismus: Von Luzern her kamen die Gäste mit dem Dampfschiff ins Fischerdorf und fuhren dann in fauchenden Zügen bergwärts.
Das gab zwar neue Verdienstmöglichkeiten. Aber, sagt die Historikerin Cornelia Renggli, die das Regionalmuseum der Luzerner Rigi-Gemeinden leitet: «Viele Einheimische beklagten sich über die Touristen. Es waren ihnen zu viele, die Rede war von einem Sturm oder einer Flut von Besuchern.»
Und dies, nachdem sie bereits während der zweijährigen Bauzeit mit einer anderen Gruppe von Fremden zurechtkommen mussten: den Arbeitern. Bis zu 600 waren am Werk, viele davon stammten aus Italien – sie waren die Fachkräfte, verfügten über Erfahrungen im Eisenbahnbau, während Einheimische als Hilfsarbeiter ihre Dienste verrichteten. «Einheimische und Arbeiter gerieten immer wieder aneinander», sagt Historikerin Renggli. «In den Gasthäusern kam es zu Streitigkeiten, in den Dokumenten finden wir auch Hinweise auf Messerstechereien.»
Der Vorwurf heute: «Disneylandisierung»
Einheimische, die sich über zu viele Touristen beklagen – «Overtourism» heisst heute das Stichwort dazu. Und was 1871 viele Vitznauerinnen und Vitznauer beschäftigte, ist auch heute noch ein Thema. Denn die Zahl der Gäste ist in den letzten 150 Jahren stark gestiegen: Im Rekordjahr 2018 transportierten die Rigibahnen rund eine Million Passagiere.
Kritiker beklagen eine «Disneylandisierung» der Rigi und fordern nachhaltigen Tourismus statt immer noch mehr Touristinnen und Touristen.
Die Coronakrise hat den Wachstumskurs der Bahn Anfang 2020 vorerst abrupt beendet – die Frage ist nun, wie sich der Tourismus nach Corona weiterentwickelt. Immerhin: 2018 haben sich die Verantwortlichen in einer Charta zu einem «schonungsvollen Umgang» mit dem Berg verpflichtet.