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60. Solothurner Filmtage Casting-Direktorin «Die Arbeit der Casterin wird unterschätzt»

Die Casting-Direktorin Corina Glaus wird an den Solothurner Filmtagen mit dem Prix d’Honneur ausgezeichnet. Sie habe mit ihrem Schaffen dem Schweizer Kino ein Gesicht gegeben, so die Begründung.

Wie findet die Casterin die perfekte Besetzung und wie politisch ist ihre Arbeit?

Corinna Glaus

Casting-Direktorin

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Corinna Glaus ist 1957 in Zürich geboren. Sie studierte Ethnologie in Zürich und Münster. Ihre ersten Erfahrungen sammelte sie an den Stadttheatern in Stuttgart und Bochum. In der Schweiz gründete sie mit dem Schauspieler Wolfram Berger die freie Theatergruppe Rotta Theater. Später arbeitete sie als Script Continuity und Regieassistentin, bevor sie 1997 das Casting zu ihrer Haupttätigkeit machte. Sie engagiert sich zudem stark für die Anerkennung des Casting-Berufs und ist Mitglied mehrerer internationaler Verbände.



SRF News: Sie haben über 150 nationale und internationale Kino- und Fernsehproduktionen besetzt. Darunter Produktionen wie «Die göttliche Ordnung», «Platzspitz Baby» oder «James Bond: ein Quantum Trost». Wie finden Sie die passenden Schauspielerinnen und Schauspieler?

Corina Glaus: Zuerst lese ich das Drehbuch mehrfach durch, um die Geschichte und die Dramaturgie zu kennen. Plötzlich beginne ich, den Charakter einer Figur zu verstehen. Das inspiriert mich manchmal zu Vorschlägen, die eigentlich nicht zur Beschreibung im Drehbuch passen.

Es darf aber nicht sein, dass man eine Alibibesetzung macht und damit niemandem gerecht wird.

Wenn zum Beispiel ein 50-jähriger, kleiner, fester Mann beschrieben wird, habe ich beim Lesen das Gefühl, diese Figur könnte zu einem Schauspieler passen, der älter ist, gross und dünn. Für mich geht es darum, das Rückgrat einer Figur zu kennen.

Und wenn Sie dieses Rückgrat ganz anders wahrnehmen als die Regie?

Das gibt je nach Regie sehr interessante Diskussionen! Es bedingt, dass man sich gegenseitig vertraut und gemeinsam neue Wege sucht.

Sie entdecken auch immer wieder neue Talente, die kommen dann zu Ihnen an ein Casting. Was ist wichtig, wenn man an einem Casting teilnimmt? Worauf achten Sie?

Eine gute Vorbereitung ist zentral und auch der grosse Unterschied zwischen Theater und Film. Beim Film muss man relativ selbstständig arbeiten. Das gilt auch fürs Casting. Es ist nicht zu empfehlen, zum Casting zu kommen und zu sagen: «Ich bin da, ich mache alles, was ihr vorschlägt.» Man muss sich mit der Figur bereits vertieft befasst haben, eine Idee haben, wie man diese Figur interpretieren will. Beim Casting ist die Zeit zu knapp, um so etwas von Grund auf zu erschaffen.

Casting ist auch politisch. Aktuell wird darüber diskutiert: Wer darf wen spielen? Darf zum Beispiel eine Person ohne Behinderung eine Person im Rollstuhl spielen?

Ich finde es wichtig, dass die Sensibilität da ist, dass man sehr bewusst mit diesen Fragen umgeht. Am Schluss entscheiden die Produktion und die Regie. Natürlich überlege ich mir schon: Könnte man aus dieser Rolle auch eine weibliche machen oder soll diese Figur mit Migrationshintergrund von einem Schauspieler mit dem gleichen Hintergrund gespielt werden? Es darf aber nicht sein, dass man eine Alibibesetzung macht und damit niemandem gerecht wird. In den USA ist man sicher kritischer als bei uns.

Ein Schauspieler sollte ja eigentlich die Fähigkeit haben, alle zu spielen, ohne selber so zu sein, wie die Figur, die er spielt?

Ja klar. Wenn man als Schauspieler einen Mörder spielt, muss man nicht selbst einer sein, um es etwas plakativ zu sagen. Es geht darum, die Emotionen und Triebe zu verstehen. Dennoch kann es sein, dass man dank eigenen Erfahrungen näher an eine Figur herankommt.

Im kommenden Jahr wird zum ersten Mal ein Oscar für das beste Casting vergeben. Gewinnen Sie in diesem Jahr den Prix d’Honneur und im kommenden den Oscar?

Nein, es gibt weltweit sehr viele tolle Kolleginnen und Kollegen. Es ist aber schön, dass das Casting in den Fokus rückt, dass es Kriterien geben wird: Was ist gutes Casting? Das wird dem Casting allgemein einen Schub geben. Aktuell wird unsere Arbeit nämlich eher unterschätzt.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Tagesgespräch, 22.01.2025, 12:30 Uhr ; 

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