«Die Augen vor der Lebensrealität so vieler Menschen zu schliessen, die im Alter armutsgefährdet sind – damit habe ich Mühe», sagt SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer. Die AHV werde über Umverteilung solidarisch finanziert. SVP-Nationalrätin Diana Gutjahr entgegnet: «Der Solidaritätsgedanke der AHV verliert mit der 13. AHV-Rente.» Denn vor allem die Jungen würden über Lohnprozente und Mehrwertsteuer bezahlen.
Wer wie viel AHV-Rente erhalten und wer wie viel bezahlen soll, das diskutiert die Schweiz einmal mehr. Über 20 Mal hat das Stimmvolk schon über Änderungen am Herzstück des Schweizer Sozialstaats entschieden, seit die Idee der AHV erstmals beim Landesstreik 1918 Form angenommen hat.
«Das Jahrhundertereignis»
Am 6. Juni 1947 sagten 80 Prozent der stimmberechtigten Männer in der Schweiz Ja zu einer nationalen Alters- und Hinterlassenenversicherung. Möglich machte es der Zweite Weltkrieg. Per Notrecht schaffte der Bundesrat eine «Lohnersatzordnung», um die Soldaten im Krieg abzusichern. «Nach zwei Weltkriegen und einer Wirtschaftskrise wuchs in der Schweiz der Wunsch einer solidarischen Gesellschaft», erklärt Historiker Jakob Tanner.
Die Linken und der Freisinn forderten, dass die milliardenschwere Lohnersatzordnung in eine staatliche Altersvorsorge umgewandelt wird. FDP-Bundesrat Walther Stampfli brachte die AHV schliesslich durch, das Parlament stand geschlossen dahinter. «Das war ein Jahrhundertereignis», sagt Tanner. «Der Grundgedanke der Solidarität war mehrheitsfähig.»
Magere Renten, viele Reformen
Auf den Durchbruch an der Urne folgte die Ernüchterung im Portemonnaie: Magere sieben Prozent eines Monatslohns betrug die erste Rente. Zum Leben reichte das nicht. Und für die Frauen gab es nichts: Die Ehepaarrente wurde dem Mann ausgezahlt. Erst 50 Jahre später, 1997, sollte sich das mit der Individualrente ändern. Ende der 1960er Jahre erhöhte SP-Innenminister Hans-Peter Tschudi die AHV-Renten schliesslich stark.
«Er war in Bundesbern bekannt für sein ‹Tschudi-Tempo›», sagt Tanner. So einig man sich bei der Einführung der AHV 1947 noch war, so uneinig ist man sich seither über deren Reform. Staatliche Vorsorge ausbauen oder Pensionskassen stärken – die Frage spaltet die Lager bis heute. 1972 endete das politische Seilziehen vorläufig in einem gut-schweizerischen Kompromiss: Das 3-Säulen-Modell wird in der Verfassung verankert. Bundesrat Tschudi sprach damals von einer «endgültigen Lösung für dieses soziale Problem».
Das permanente Provisorium
So endgültig scheint die Lösung nicht: Zu einschneidend sind die wirtschaftlichen Entwicklungen seither, zu stark wandelt sich die Gesellschaft. «Das Schweizer Vorsorgesystem ist ein permanentes Provisorium», sagt Tanner. SGB-Zentralsekretärin Gabriela Medici meint: «In den 1970ern war man solidarischer: Gemessen am Lohn müssten wir heute 500 Franken mehr AHV haben.»
Die heutige AHV sei weit davon entfernt, existenzsichernd zu sein. FDP-Ständerat Josef Dittli entgegnet: «Die 13. AHV-Rente ist völlig das falsche Instrument dafür», denn es bekommen auch diese Menschen Geld, die keinen Bedarf hätten. Eine Einigkeit, wie es sie 1947 bei der Einführung der AHV noch gab, scheint heute unmöglich. Am 3. März stellt sich das permanente Provisorium AHV einmal mehr dem Stimmvolk.