Erstmals in der Geschichte nimmt die Schweiz eine linke Initiative zum Ausbau des Sozialstaates an. Offenbar haben dabei die Älteren die Jungen überstimmt, wie eine Nachwahlbefragung von Tamedia zeigt. Ein Blick auf das Resultat mit dem Philosophen und Politikwissenschaftler Francis Cheneval unter den Aspekten Generationengraben, Egoismus, Solidarität und Finanzierung.
SRF News: Gibt es einen Generationengraben in der Schweiz?
Francis Cheneval: Bei der Abstimmung über die 13. AHV-Rente hat sich sicher ein Generationengraben aufgetan. Mit einer massiven Zustimmung der Älteren, während bei den Jüngeren die Initiative nicht erfolgreich gewesen wäre. Einen generellen Altersgraben hat die Schweiz objektiv aber nicht. Vielmehr tun sich je nach Vorlage immer wieder Gräben auf wie etwa der Geschlechter- oder der Röstigraben.
Ganz bestimmt nimmt die Mehrheit der 18- bis 25-Jährigen aber einen subjektiven Generationengraben wahr. Ebenso sind die 25- bis 35-Jährigen mehrheitlich der Meinung, dass es ihren Eltern besser geht, als es ihnen selbst je gehen wird. Solche sehr stark subjektive Gräben sind ernst zu nehmen, damit sie nicht zu gesellschaftlich relevanten objektiven Gräben werden.
Altersarmut ist nicht zu leugnen, doch vielen Rentnerinnen und Rentnern geht es finanziell gut. Stimmten sie aus Egoismus für die 13. AHV-Rente?
Urteile über die moralische Qualität sind heikel. Das Abstimmungsresultat kann aber mit dem rationalen Akteur-Modell erklärt werden. Es zeigt, dass jene, die tendenziell profitieren, Ja stimmten und damit in ihrem eigenen Interesse handelten.
Wenn beispielsweise durch die Mehrwertsteuer und andere Abgaben finanziert wird, kippt das Ganze ins Ungerechte.
Gleichzeitig war die Vorlage mit dem allgemeinen Anspruchsrecht auf eine 13. Rente sehr raffiniert aufgegleist. Wer Ja stimmte, konnte sich sagen, dass er sich nicht egoistisch etwas herausgenommen hat. Das universalistische Sozialstaatsmodell ist insofern tendenziell ungerecht, als sehr viele in den Genuss von etwas kommen und nicht nur die Bedürftigsten. Solche sozialstaatlichen Reformen stossen aber auf höhere Akzeptanz.
Steckt dahinter auch ein Zeitgeist, eine Mentalität, bei der jeder für sich schaut?
Zeitgeist ist ein grosses Wort im Moment, das aber wohl vor allem der Konjunktur geschuldet ist. Das hat auch mit den Lebenshaltungskosten, Mieten, Krankenkassenprämien und punktuellen Ereignissen wie der Rettung von Banken und Ausgaben in Milliardenhöhe für andere Belange zu tun. Die weitreichende Diagnose von einer einst solidarischen und nun egoistischen Bevölkerung wird von anderen Daten so nicht gestützt.
Gestern war die Party und jetzt kommt sicher eine Katerstimmung mit Finanzierungsstreitigkeiten im Parlament.
Was sagen sie zur offenen Finanzierung der 13. AHV-Rente?
Dies ist sehr stark eine Frage der Solidarität. Wenn jetzt beispielsweise durch die Mehrwertsteuer und andere Abgaben finanziert wird, kippt das Ganze ins Ungerechte. Denn dann werden die am schlechtesten Gestellten nicht entscheidend besser gestellt, sondern in der Kaufkraft wiederum mehr belastet. Doch es gibt andere Modell oder Finanzierungsfantasien, die eher beim Sparen ansetzen und bei Beiträgen einer eher international liberal auftretenden Schweiz kürzen wollen wie etwa der Entwicklungs- und Ukraine-Hilfe.
Die Vorstellungen bei der Finanzierung gehen weit auseinander. Ist nach der Debatte also vor der Debatte?
Genau. Gestern war die Party und jetzt kommt sicher eine Katerstimmung mit Finanzierungsstreitigkeiten im Parlament. Da bin ich gespannt, ob da nur reine Solidaritätsmodelle auf den Tisch kommen und eher solche, die tendenziell den Mittelstand belasten.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.