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Abstimmungskampf: Menschenwürde vs. freie Meinungsäusserung
Aus Echo der Zeit vom 14.01.2020. Bild: Imago
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Volksabstimmung vom 9. Februar Wie viel Beleidigung erträgt die demokratische Gesellschaft?

Schutz der Menschenwürde gegen Meinungsäusserungsfreiheit: Bald kommt die erweiterte Anti-Rassismus-Strafnorm vors Volk.

«Gott hasst euch», «Fahrt zur Hölle», «Gott sei Dank für tote Soldaten» – mit solchen Plakaten störten Evangelikale in den USA Begräbnisse von schwulen Soldaten, die im Irakkrieg gefallen waren. Ein skandalöser und widerlicherer Protest, entschied 2011 das Oberste Gericht, aber erlaubt. Das Recht auf freie Meinungsäusserung gelte auch für extremistische Gruppierungen.

Freier Marktplatz der Ideen

Der Entscheid stehe in der amerikanischen Rechtstradition, sagt die Verfassungsrechtlerin Maya Hertig Randall von der Universität Genf. Die Meinungsäusserungsfreiheit sei quasi ein Symbol der amerikanischen Identität. Einschränkungen gewisser Kategorien seien fast ausgeschlossen.

Selbst die Leugnung des Holocaust oder offen rassistische Meinungen können in den USA straflos verbreitet werden. Der Staat soll nicht in den freien Marktplatz der Ideen eingreifen.

Diese Auffassung stünde auch dem staatsgläubigeren Europa gut an, findet der Basler Staatsrechtler Markus Schefer: «Sagen soll man auch das Schlimmste können, solange kein Bezug zu Handlungen aus diesen Äusserungen folgt.»

Sagen soll man auch das Schlimmste können, solange kein Bezug zu Handlungen aus diesen Äusserungen folgt.
Autor: Markus Schefer Professor für Staatsrecht, Universität Basel

Selbstverständlich lehne er menschenverachtende Äusserungen und Meinungen ab, betont Schefer, Mitglied des UNO-Ausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Aber es gehe um die Reaktion: «Ist es der Staat mit dem Verbot? Oder ist es die Zivilgesellschaft, die solche Äusserungen öffentlich thematisiert und klarmacht, wes Geistes Kind die Person ist?»

Worte oder Taten?

Schefer steht deshalb jenem Teil der Anti-Rassismus-Strafnorm skeptisch gegenüber, bei dem es nur um Worte geht. Bei rassistischen, antisemitischen oder homophoben Taten hingegen wünschte er sich mehr Härte. Bei Gewalt ohnehin. Aber auch beim Anbieten von Wohnungen oder Arbeitsstellen. Ebenso bei der Wertschätzung an der Arbeit, wo allenfalls auch rassistische oder homophobe Züge mitspielen. Da müsse mehr getan werden.

Hertig Randall bezweifelt, ob es möglich ist, klar zwischen Worten und Taten zu unterscheiden: Auch Äusserungen könnten grossen Schaden anrichten. Man müsse auch die Perspektive jener einnehmen, die Zielscheibe seien.

Auch Äusserungen können grossen Schaden anrichten.
Autor: Maya Hertig Randall Professorin für Verfassungsrecht, Universität Genf

Besonders verletzliche Gruppen wie ethnische und religiöse Minderheiten und Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung bräuchten einen besonderen Schutz des Staates. Als Mitglied im IKRK-Leitungsgremium befürwortet Hertig Randall denn auch die erweiterte Anti-Rassismus-Strafnorm.

Basis der Freiheitsrechte

Die Juristin Vera Leimgruber hat im Auftrag der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus zum Konflikt zwischen Grundrechten geforscht: «Die Menschenwürde steht an erster Stelle im Grundrechtskatalog der Bundesverfassung und wird auch vom Bundesgericht als Grundlage der Freiheitsrechte verstanden.»

Als Wurzel der Freiheitsrechte müsse die Menschenwürde also auch in der Meinungsäusserungsfreiheit enthalten sein. «Es braucht gar kein Abwägen zwischen Menschenwürde und Meinungsäusserungsfreiheit», so Leimgruber. Wer eine bestimmte Gruppe von Menschen herabwürdige, mache sich strafbar.

Es braucht gar kein Abwägen zwischen Menschenwürde und Meinungsäusserungsfreiheit.
Autor: Vera Leimgruber Juristin

Was die Gerichte nicht davon befreie, jeden Fall genau abzuklären, betont Hertig Randall: Klare Hassrede sei ein Angriff auf die Menschenwürde. Es bestehe aber ein Spannungsverhältnis zur Meinungsäusserungsfreiheit. Deshalb müssten bei weniger eindeutigen Fällen dann doch beide Seiten angeschaut werden.

900 Gerichtsfälle in 25 Jahren Anti-Rassismus-Strafnorm

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Wer in der Schweiz extrem rassistische, fremdenfeindliche oder antisemitische Aussagen macht, verstösst unter Umständen gegen die Anti-Rassismus-Strafnorm. Jedes Jahr werden durchschnittlich zwei Dutzend Personen verurteilt, weil sie etwa einen Juden, eine dunkelhäutige Person oder einen Ausländer generell angegriffen haben.

Die Anti-Rassismus-Strafnorm wird zurückhaltend angewandt. So kamen in den 25 Jahren ihrer Geltung nur gut 900 Fälle vor Gericht. Das ist ein kleiner Bruchteil im Vergleich zu den Fällen von übler Nachrede, Ehrverletzung, Verleumdung oder Beschimpfung. Auch das sind Straftatbestände, die die Meinungsäusserungsfreiheit einschränken.

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