Das Parlament hat darum gestritten, ob die AHV-Rentnerinnen und -Rentner den vollen Teuerungsausgleich erhalten sollen – rund fünf Franken mehr pro Monat bei den AHV-Mindestrenten – statt nur die ordentliche Anpassung an Lohn- und Teuerungsentwicklung. Der Ständerat hat die Vorlage heute Morgen abgelehnt und damit endgültig versenkt. Für Carlo Knöpfel, Professor für Sozialpolitik, war das ohnehin die falsche Diskussion. Er plädiert für grundsätzlich existenzsichernde AHV-Renten.
Das Interview wurde vor dem Entscheid des Ständerats geführt.
SRF News: Macht die volle Anpassung an die Teuerung der AHV-Renten Sinn?
Carlo Knöpfel: Es ist grundsätzlich sinnvoll, darüber zu diskutieren – denn die AHV-Mindestrenten sind nach wie vor nicht existenzsichernd und jene Rentnerinnen und Rentner, die davon leben müssen, sind um jeden Franken froh, den sie erhalten. Viele von ihnen könnten Ergänzungsleistungen beziehen, machen das aber nicht, weil sie sich schämen. Sie leben damit unter dem Existenzminimum.
Viele könnten Ergänzungsleistungen beziehen, machen das aber nicht, weil sie sich schämen.
Wenn der volle Teuerungsausgleich tatsächlich einmalig bleibt, dann bin ich durchaus dafür. Ich befürchte aber, dass angesichts der politischen Mehrheiten in diesem Fall bald der Mischindex – also die regelmässige Anpassung der Renten an Lohn- und Teuerungsentwicklung – zur Diskussion stehen könnte. Auf lange Sicht wäre das nachteilig für Rentnerinnen und Rentner mit tiefen AHV-Renten.
Sie plädieren also für die Beibehaltung der Rentenanpassung nach Mischindex, ohne die jetzt diskutierte Sonderanpassung, weil das auf lange Sicht besser sei für die Rentnerinnen und Rentner. Betriebt die Linke mit ihrer Forderung also bloss Wahlkampf?
Alle machen derzeit Wahlkampf: Die einen, weil sie dafür sind, die anderen, weil sie dagegen sind.
Es geht ja bloss um fünf Franken pro Monat für Menschen mit den tiefsten Renten. Sollte man ihnen dieses Geld nicht geben?
Wer nur mit der AHV-Rente auskommen muss, wäre unbestritten froh um das Geld, keine Frage.
Das grundsätzliche Problem ist, dass die AHV-Renten grundsätzlich zu tief sind.
Das grundsätzliche Problem ist aber, dass diese AHV-Renten grundsätzlich zu tief sind – egal, ob man eine Teuerung ausgleicht oder nicht. In der Bundesverfassung steht geschrieben, dass die AHV existenzsichernd sein soll, doch das ist sie bis heute nicht.
Wie stehen die politischen Chancen, dieses Ziel eines Tages zu erreichen?
Es hat verschiedene Anläufe dazu gegeben, so haben die Gewerkschaften in der Vergangenheit mehrere Volksinitiativen lanciert, um die AHV-Renten substanziell zu erhöhen. Doch das Thema ist nicht mehrheitsfähig in der Schweiz. Das ist aus Sicht der Rentnerinnen und Rentner keine gute Situation.
Gibt es auch für Sie eine Obergrenze bei der Teuerung, ab der der volle Teuerungsausgleich nötig wäre?
Es gilt zwei Dinge zu unterscheiden: Das eine ist der Rhythmus, in dem die Renten angepasst werden. Das geschah in der Vergangenheit alle zwei Jahre gemäss dem Mischindex. Hier könnte man den Bundesrat darauf verpflichten, diese Anpassung jedes Jahr vorzunehmen.
Wenn die Löhne der Teuerung voll angepasst werden, kommt man auch beim AHV-Mischindex auf den vollen Teuerungsausgleich.
Das andere ist: Die Differenz zwischen Preissteigerung und Lohnsteigerung bestimmt die Höhe der Rentenanpassung. Wenn also die Löhne der Teuerung voll angepasst werden, kommt man auch beim Mischindex auf den vollen Teuerungsausgleich bei der AHV. Wenn aber zwischen Teuerung und Lohnanstieg eine Differenz von mehr als drei Prozentpunkten entstehen würde, wäre eine Anpassung der Renten über den Mischindex hinaus nötig. Das ist bis jetzt nicht der Fall, die Gewerkschaften waren stark genug bei den Lohnverhandlungen.
Das Gespräch führte Monika Glauser.