Die Landesregierung lässt ab kommendem Dienstag schweizweit Restaurants, Freizeit- und Sportbetriebe schliessen – eine Art Shutdown light. Alles andere wie Läden, Schulen, Skigebiete bleiben offen. Für viele sind diese Massnahmen zu wenig einschneidend. Bundesrat Alain Berset findet sie hart – und appeliert im Interview an die Eigenverantwortung.
SRF News: Herr Bundesrat, werden Sie vor Weihnachten noch Einkäufe machen?
Alain Berset: Ich weiss nicht, ob ich noch Zeit für Geschenke habe. Aber sicher für Einkäufe, damit wir für die Familie etwas zu Essen haben an Weihnachten.
Haben Sie ein gutes Gefühl, wenn Sie an die Menschenmengen denken, die sich vor Weihnachten in die Läden drängen werden?
Es ist eine schwierige Situation, es ist Anfang Winter, die Festtage kommen, ich habe kein gutes Gefühl. Aber trotzdem müssen wir ja weiterleben.
Aber trotzdem müssen wir ja weiterleben.
Die anderen Länder rundherum sind viel strenger mit den Massnahmen, aber ich denke, wir können mit Eigenverantwortung und Vernunft und diesen harten Regeln einen guten Weg finden.
Sie betonen immer wieder Eigenverantwortung und Vernunft. Aber das hat doch einfach nicht funktioniert, sonst wären wir nicht da, wo wir jetzt sind.
Das sehe ich nicht so. Ja, es ist eine schwierige Situation jetzt, aber man hat auch die Tendenz, die Schweiz mit einer Insel zu vergleichen. Bei uns ist das anders, wir haben sehr viele Kontakte, sehr viel Austausch. Und wichtig ist auch, dass wir noch Reserven haben.
Welche Reserven?
Wir könnten noch strengere Massnahmen verhängen. Wir haben da noch Reserven, die andere Länder nicht mehr haben. Aber es ist schon klar, die Zahlen müssen jetzt runter, denn es ist extrem gefährlich für unser Gesundheitssystem. Bei der ersten Welle hat es damals sehr gut funktioniert. Jetzt ist es schwieriger, weil wir alle müde sind und weil Winter ist.
Sie haben betont, dass es harte Massnahmen sind, die Sie beschlossen haben. Aber viele sehen das anders. Sie haben nicht auf die Kantonsärzte gehört, nicht auf die wissenschaftliche Task Force, nicht auf die Gesundheitsdirektoren, nicht auf die Spitäler; die haben alle härtere Massnahmen gefordert.
Wir haben allen zugehört…
… aber haben dann anders entschieden…
… und müssen dann die Verantwortung übernehmen für das ganze Land. Ja, ich bin überzeugt, dass die Massnahmen hart sind. Die Restaurants zu schliessen: Was bedeutet das für alle die Leute, die dort arbeiten? Oder die etwas essen gehen wollen? Die ganze Kultur zu schliessen: Das ist brutal!
Die ganze Kultur zu schliessen: Das ist brutal!
Aber die Massnahmen sind notwendig, und wir können uns eine Verbesserung der Situation erhoffen. Aber es braucht auch Unterstützung und eine Abfederung für die Leute in den Restaurants, in der Kultur, die können nichts dafür, dass die Situation so schlecht ist.
Wissen Sie, wie viele Leute bisher in der Schweiz an Covid-19 gestorben sind?
Etwas mehr als 5000 Leute.
Es sind genau 6004 Personen bis heute. Das sind, auch im internationalen Vergleich, sehr viele.
Ja, das sind sehr viele. Jede Person, die an Corona stirbt, ist eine zu viel. Wir haben sehr viel gemacht, um die Gesundheit der Menschen zu schützen. Das war das oberste Ziel des Bundesrats. Aber die Krise dauert jetzt schon Monate, es ist die grösste Gesundheitskrise seit 100 Jahren.
Es ist die grösste Gesundheitskrise seit 100 Jahren.
Es ist auch eine Wirtschaftskrise, und es hat Folgen für die ganze Gesellschaft. Und da muss der Bundesrat immer wieder die richtigen Entscheide für die Schweiz treffen. Aber klar: Es sind zu viele Ansteckungen, zu viele Menschen, die daran sterben, und deshalb wollen wir jetzt die Massnahmen verschärfen.
Das Interview führte Urs Leuthard.