Was für ein Kontrast zum Beginn der Pandemie im März: Damals trifft Corona die Schweiz schockartig. In dieser beunruhigenden und verstörenden Situation hat der Bundesrat einen starken Auftritt mit klaren Entscheiden. Das Vertrauen in die Landesregierung ist gemäss Umfragen so gross wie selten. Die Popularitätswerte einzelner Regierungsmitglieder klettern in die Höhe. Als sich im Frühling Entspannung abzeichnet, gibt der Bundesrat das Heft mit stolzem staatspolitischem Bewusstsein zurück in der Hand der Kantone.
Inzwischen hat der Bundesrat das Heft wieder in die Hand genommen. Die auf hohem Niveau nicht sinken wollenden Fallzahlen und die Zögerlichkeit diverser Kantone haben ihn dazu gezwungen. Aber er macht es längst nicht mehr mit der gleich ruhigen Hand wie zu Beginn.
Aus dem souveränen ist ein von verschiedenen Einflüssen getriebener Krisenmanager geworden. Getrieben von der Wissenschaft, die schon lange schärfere Massnahmen fordert. Von den Kantonen, die harte Entscheide lieber nicht selber fällen möchten. Vom Gesundheitswesen, dessen Hilferuf nie eindringlicher war. Oder von den Vertreterinnen und -vertretern der Parteien – längst nicht mehr nur von links – die dem Bundesrat grosse Versäumnisse und sogar Mitverantwortung an den hohen Todeszahlen anlasten.
Auch wenn die heute getroffenen Massnahmen viele hart treffen – in der gegenwärtigen Stimmungslage werden sie wohl nicht als besonders drastisch empfunden. Und in den nächsten Tagen dürften die Stimmen eher noch lauter werden, die dem Bundesrat vorwerfen, er drohe die Kontrolle zu verlieren.
Der Druck bleibt gross
Dabei ist der Bundesrat eigentlich nur dem treu geblieben, was er in den letzten Wochen mit helvetisch dosiertem Pathos den «Schweizer Weg» nannte. Heute hat Gesundheitsminister Berset diesen Begriff übrigens durch den etwas nüchterneren Begriff «politische Machbarkeit» ersetzt.
Auch wenn die Wirtschaftsverbände in dieser Woche moderater unterwegs waren und Verständnis für Verschärfungen zeigten – der Druck auch von dieser Seite tat offenbar immer noch Wirkung. Und so war es «politisch nicht machbar», Einkaufsläden und Shoppingcenter zu schliessen. Während zum Beispiel Bibliotheken oder Museen ganz zu tun müssen.
Der Druck auf den Bundesrat wird auch über die Weihnachtstage nicht nachlassen. Für den 30. Dezember hat er eine Zwischenbeurteilung angekündigt – die Entwicklung der Pandemie bis dahin und die Situation in den Spitälern entscheiden wohl, wie viel Schweizer Weg sich der Bundesrat noch leisten kann.