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Simonetta Sommaruga: «Gewalt gegen Frauen geht uns alle an»
Aus Tagesgespräch vom 22.11.2024. Bild: SRF/David Karasek
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Alt Bundesrätin Sommaruga «Gewalt gegen Frauen geht uns alle an»

Gewalt gegen Frauen ist in der Schweiz weit verbreitet. Morgen Samstag startet die schweizweite Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen». Wieso sich alt Bundesrätin Simonetta Sommaruga dafür einsetzt.

Simonetta Sommaruga

Alt Bundesrätin

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Simonetta Sommaruga wurde 1960 geboren. In Luzern liess sie sich zur Pianistin ausbilden. Ihre Konzerttätigkeit und pädagogische Arbeit führte Sommaruga am Konservatorium in Freiburg weiter. Ab 1993 war sie Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz, von 2000 bis 2010 deren Präsidentin. Sommaruga war zwischen 1997 und 2005 Gemeinderätin in Köniz und von 1999 bis 2003 Nationalrätin. Von 2003 bis 2010 vertrat die SP-Politikerin den Kanton Bern im Ständerat. Sie war von November 2010 bis Ende Dezember 2022 Bundesrätin. Bis 2018 leitete Sommaruga das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD). Anschliessend war sie Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK).

Bild: Keystone/Urs Flüeler

 SRF News: Warum engagieren Sie sich für dieses Thema?

Simonetta Sommaruga: Gewalt gegen Frauen begleitet mich schon mein ganzes Berufsleben. Vor 40 Jahren, als ich noch eine junge Frau war, habe ich in Freiburg im Frauenhaus für Opfer häuslicher Gewalt gearbeitet. Dort habe ich Nachtdienst geleistet und erlebt, was Gewalt anrichten kann. Diese Erfahrungen haben mich tief erschüttert und zugleich empört. Frauen, die vor ihren gewalttätigen Ehemännern fliehen mussten – oft mit ihren Kindern – und nicht wussten, wie ihr Leben weitergehen soll.

Gewalt gegen Frauen ist ein Problem, das uns alle angeht. Männer sind darüber genauso empört wie Frauen.

Es zeigt, dass Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft als Mittel eingesetzt wird, um Macht auszuüben. Das hat mich politisiert und meinen Einsatz für dieses Thema geprägt.

Sind Sie eine wütende Frau auf die bösen Männer?

Das wäre ein grosses Missverständnis. Ich höre auch von vielen Männern, wie sehr sie das stört, wenn in unserer Gesellschaft Gewalt ausgeübt wird – sei es physische Gewalt, Bedrohung, Nötigung oder auch subtile Formen der Abwertung. Diese Formen der Gewalt betreffen nicht nur junge Frauen, sondern auch ältere – etwa in Spitälern oder Altersheimen. Gewalt gegen Frauen ist ein Problem, das uns alle angeht. Männer sind darüber genauso empört wie Frauen.

In diesem Jahr gab es bereits 16 Femizide in der Schweiz. Warum bekommt unsere Gesellschaft dieses Problem nicht in den Griff?

Das ist wirklich ein Skandal. Es ist erschreckend, dass wir in dieser Gesellschaft bei diesem Thema nicht vorankommen – die Zahlen nehmen sogar noch zu. Die Gründe dafür sind vielschichtig.

Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, welche Mechanismen und Strukturen dazu führen, dass Frauen abgewertet werden. Diese Abwertung ist oft die Grundlage für Gewalt.

Einerseits brauchen wir ausreichend Unterstützung für Opfer und Sensibilisierungsarbeit in der Justiz, den Medien und anderen Institutionen. Es ist entscheidend, dass Opfer nicht erneut traumatisiert werden, wenn sie mit Behörden in Kontakt kommen. Andererseits müssen wir uns als Gesellschaft fragen, welche Mechanismen und Strukturen dazu führen, dass Frauen abgewertet werden. Diese Abwertung ist oft die Grundlage für Gewalt.

Die Abwertung von Frauen kann zu Gewalt führen?

Ja, das ist der Nährboden für Gewalt. Gewalt richtet sich in der Regel nicht gegen Menschen, die als überlegen oder stark wahrgenommen werden. Oft geht es um Machtansprüche: das Gefühl, über jemanden verfügen zu können – sei es physisch, psychisch oder im Denken. Solche Vorstellungen stammen aus alten Mustern, die tief in unserer Gesellschaft verwurzelt sind. Es ist wichtig, dass wir diese Muster erkennen und hinterfragen.

Wenn man die Kosten der Gewalt mit den Ressourcen vergleicht, die wir heute für deren Bekämpfung einsetzen, ist das Verhältnis eindeutig unausgewogen.

Opferberatungsstellen und Frauenhäuser leiden oft unter finanziellen Engpässen.

Es ist wirklich erstaunlich, wofür in den Kantonen überall Geld zur Verfügung steht – und wo plötzlich keines mehr da ist. Gerade im Bereich der Opferhilfe sind die Ausgaben von Bund und Kantonen nicht exorbitant hoch. Aber die Schäden, die Gewalt anrichtet, sind immens: psychische Folgen, zerstörte Familien oder Beziehungen, die zerbrechen. Wenn man die Kosten der Gewalt mit den Ressourcen vergleicht, die wir heute für deren Bekämpfung einsetzen, ist das Verhältnis eindeutig unausgewogen.

Das Gespräch führte David Karasek.

Tagesgespräch, 22.11.2024, 13:00 Uhr ; 

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