An der Decke des Gotthard-Strassentunnels hat sich am Sonntag, kurz nach 16 Uhr, ein Riss aufgetan. Betonteile lösten sich. Seither ist das wichtigste Nadelöhr im Schweizer Strassennetz geschlossen. Ende Woche soll der Verkehr im Tunnel wieder zugelassen werden. Das zuständige Bundesamt für Strassen (Astra) bestätigte, dass Spannungsumlagerungen im Gebirge die Ursache für den Zwischenfall gewesen seien.
Es gab keine Verletzten zu beklagen, betroffen war eine relativ unwichtige Zwischendecke. Und doch stellt sich die Frage: Wie gross ist die Gefahr für das Bauwerk?
Die Ursache scheint geklärt
Seit nunmehr 43 Jahren ist der Gotthard-Strassentunnel in Betrieb. Im Jahr 2016 stimmte das Stimmvolk einer zweiten Röhre zu. Sobald diese fertiggestellt ist, wird – voraussichtlich ab 2029 – die erste saniert. Ziel ist es, 2032 beide Röhren einsatzbereit zu haben.
Über dem Tunnel herrschte während all dieser Jahre reger Betrieb. Grund ist die Geologie. «Ein Loch hat die Tendenz, sich schliessen zu wollen», erklärt Walter Kaufmann, ordentlicher Professor am Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH.
Auch Raphael Wick, Dozent für Tunnelbau an der Fachhochschule Nordwestschweiz, der als Projektleiter des Gotthard-Basistunnels die geologischen Verhältnisse gut kennt, bestätigt, dass Verschiebungen im Berg Auswirkungen haben können: «Es kann zu lokal begrenzten Deformationen und gegebenenfalls zu Schäden kommen.»
Laut Astra gibt es mehrere Möglichkeiten, warum es zu solchen Umlagerungen kommt: Bewegungen im Berg, Bauarbeiten oder auch tektonische Einflüsse. Man stehe deswegen in Kontakt mit dem Schweizerischen Erdbebendienst. Denn dieser habe am Sonntagnachmittag um 16:10 Uhr ein «seismisches Signal» aufgezeichnet.
Am Dienstag hatte das Astra zudem vermeldet, dass es im Rahmen der Arbeiten zur zweiten Röhre derzeit auch zu Sprengungen komme. Man prüfe «umfassend», ob zwischen den Bauarbeiten und dem Zwischenfall ein Zusammenhang bestehe.
In der Fachwelt hält man das für eher unwahrscheinlich. «Ich glaube nicht, dass die Arbeit an der zweiten Röhre einen Einfluss hatte», sagt Tunnelbau-Experte Wick. Und doch bleiben Fragen.
Wie sicher ist das Bauwerk?
Mittlerweile wurde die betroffene Decke auf einer Länge von 25 Metern abgerissen, und sie wird ersetzt. Darüber, wie das Astra diesen Perimeter festgelegt hat, kann man nur spekulieren. Gemäss den unabhängigen Experten dürfte es wohl eine Kombination aus dem geologischen Befund zur betroffenen Stelle und der Anzahl beschädigter Elemente der Zwischendecke gewesen sein.
Eine Gefahr für den Tunnel – auch hier sind sich die Experten einig – stellt der aktuelle Vorfall nicht dar. «Die Decke ist sekundär für die Stabilität des Tunnels», sagt Walter Kaufmann. Beim Astra erklärte man gegenüber SRF, dass der Tunnel noch genügend «Reserve» habe. Diese Erkenntnis aus der Bauwerksüberwachung sei ein wichtiger Teil der Planungen, erklärt Raphael Wick. «Das Astra untersucht den Tunnel regelmässig, um sicherzustellen, was die zu erwartende Lebensdauer ist.»
Klar ist aber auch: Der Tunnel wird heute viel reger genutzt als einst erwartet. Bereits sind mehr Autos durch ihn gefahren, als einst für dessen gesamte Lebensdauer von 80 bis 100 Jahren prognostiziert wurden.
«Heute werden Zwischendecken anders konstruiert, der Stand der Technik hat sich weiterentwickelt», sagt denn auch Bauingenieur Raphael Wick. Nicht die Robustheit, sondern die Fertigstellung des Jahrhundertwerks stand beim Bau des Tunnels in den 1970er-Jahren im Fokus, ergänzt Walter Kaufmann. In den kommenden Jahren könnte es deswegen zu ähnlichen Fällen bei alternder Infrastruktur kommen. «Rund 40'000 Brücken in der Schweiz sind über 50 Jahre alt.»