Die Privatisierung der Alterspflege schreitet in der Schweiz voran. 2022 waren 47.3 Prozent der Alters- und Pflegeheime im Besitz privater Unternehmen. 2021 hatte der Anteil noch 45.6 Prozent betragen. Auch der Blick in die fernere Vergangenheit bestätigt diese Tendenz: So waren 2006 lediglich 38.5 Prozent der Heime in privater Hand. Prozentual etwas weniger stark vertreten sind die privaten Unternehmen bei den Betreuungsplätzen, sie boten im vergangenen Jahr 42.3 Prozent der Plätze an.
Die Tendenz zur Privatisierung begrüsst Gesundheitsökonomin Annamaria Müller. Das bedeute eine weitere Entflechtung von staatlicher Regulierung und Leistungserbringung. Der Staat müsse Dienstleistungen nicht selber betreiben, er könne diese auch Privaten überlassen. «Das gilt für Altersheime genau gleich wie für Spitäler oder andere Institutionen.»
«Gewinnorientierte Unternehmungen sind nichts Schlechtes»
Mit der Privatisierung geht oft die Angst einher, sie habe negative Auswirkungen für die Bewohnerinnen und Bewohner der Heime, weil private Unternehmen in erster Linie gewinnorientiert wirtschaften. Dem widerspricht Müller: «Grundsätzlich gibt es keinen Grund, warum gewinnorientierte Unternehmungen schlecht sein sollen.» Entscheidend sei, wie gut der Betrieb geführt und wie die Standards eingehalten würden, die im Gesundheitswesen gelten. Müller erinnert daran, dass die Alters- und Pflegeheime von der Krankenversicherung mitfinanziert werden. Da gebe es in jedem Kanton gesetzliche Regeln, die einzuhalten seien. «Diese gelten auch für die Privaten.»
Hingegen kann durch die Privatisierung kein positiver Effekt auf die Kosten ausgemacht werden. Diese stiegen auch 2022, und zwar um 2.6 Prozent auf 11.05 Milliarden Franken – bei gleichbleibender Anzahl Betreuungsplätze. Laut Müller sind die allgemeinen Kostensteigerungen im Gesundheitswesen und in der gesamten Wirtschaft dafür verantwortlich.
Sie erinnert an den starken Fachpersonalmangel in der Branche. «Das Fachpersonal möchte und müsste besser entlöhnt werden.» Deshalb könne nicht davon ausgegangen werden, dass es im Pflegebereich eine andere Kostenentwicklung gebe als in anderen Branchen.
Gross muss das Unternehmen sein, aber nicht zu gross
Auffallend ist: Die Anzahl Alters- und Pflegeheime nahm in den letzten Jahren stetig leicht ab, obwohl die Anzahl Betreuungsplätze gleichzeitig leicht stieg. Eine Tendenz zu grösseren Unternehmenseinheiten ist erkennbar.
Für Annamaria Müller kommt auch dies wenig überraschend. «Die Anforderungen an Alters- und Pflegeheime sind in den letzten Jahren ständig gestiegen.» Kleine Heime könnten diese kaum mehr erfüllen. Zudem könnten grössere Unternehmen Synergien nutzen und auf einen grösseren Personalpool zurückgreifen, was beim heutigen Fachkräftemangel entscheidend sei.
Obwohl Annamaria Müller die Privatisierungen eigentlich befürwortet, sieht sie dennoch ein mögliches Problem. Durch die Privatisierung könne es zu Monopolstellungen kommen, wenn es einige wenige Unternehmen gebe, die den ganzen Markt unter sich aufteilten. Dies würde den Markt verzerren. «Ich sehe Tendenzen, dass es zu einer Konzentration kommt. Im Moment sind wir aber noch nicht an dem Punkt, wo wir uns Sorgen machen müssten.»