Am Treffen der EU-Justiz- und Innenminister in Brüssel war nicht zu übersehen: Im Asylwesen operiert die EU wieder einmal im Krisenmodus. Davon zeugen die Tausenden Menschen, die auf der Insel Lampedusa ankommen und die italienischen Behörden überfordern. Dazu kommt der Vorwurf, Italien lasse Migrantinnen und Migranten in andere EU-Länder weiterziehen, ohne sie zu registrieren. Daher werden auch wieder vermehrt Grenzkontrollen innerhalb der EU durchgeführt.
Auch Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider nahm am Ministertreffen in Brüssel teil. Sie sagt, wie sie die derzeitige Lage an der EU-Aussengrenze einschätzt – und welche Folgen dies für die Schweiz hat.
SRF News: Frau Bundesrätin, wie schätzen Sie die Lage im Asylbereich ein, würden Sie auch von einer Krise sprechen?
Elisabeth Baume-Schneider: Wenn man nach Lampedusa und zum Mittelmeer schaut, ist die Lage sehr kritisch. Wenn man das gesamte Asylsystem in Europa betrachtet, ist dieses unter Druck. Zusammenarbeit und Dialog sind unerlässlich und es braucht Reformen. Aber es ist möglich, gemeinsame Antworten auf die Herausforderungen finden.
Sie sprechen von einer derzeit kritischen Situation. Was bedeutet das konkret für die Schweiz?
Wir sind auch unter Druck. Aber nicht stärker als andere Länder in Europa. Seit mehreren Jahren stellen lediglich 2.6 Prozent der Ankömmlinge einen Asylantrag in der Schweiz. Die restlichen verteilen sich auf andere europäische Länder.
Systematische Grenzkontrollen sind eine Ultima Ratio.
Der Eindruck täuscht, dass die Schweiz ein Eldorado ist und alle Personen hierherkommen wollen. Viele Leute wollen nur durchreisen und in ein anderes Land gehen.
Auch die Binnenmigration ist ein Thema. Verschiedene Länder wollen wieder systematische Grenzkontrollen durchführen. Ist das für die Schweiz auch eine Option?
Derzeit noch nicht. Es ist eine Ultima Ratio. Deutschland führt diese Kontrollen auch noch nicht durch. Manchmal sind solche Äusserungen auch rein deklarativ. Schliesslich kann man seine Grenzen auch nicht an jedem Punkt kontrollieren.
Wichtig ist, dass die Leute wissen, was möglich und was nicht möglich ist. Leute, die bei uns kein Anrecht auf Schutz haben, sollen nicht mehr kommen. Dafür braucht es rasche Entscheide. Wer zum Beispiel aus Nordafrika kommt, muss wissen, dass nur wenige Menschen aus der Region bei uns einen Schutzstatus erhalten.
Kann die Schweiz einfach nur zuschauen, was in der europäischen Migrationspolitik beschlossen wird oder können Sie als Vertreterin der Schweiz Einfluss nehmen – im Interesse der Schweiz?
Wir können sicherlich Einfluss nehmen. Unsere Stimme wird gehört. Richtig ist aber auch, dass wir nicht mit abstimmen. Es geht in dieser Beziehung aber auch um Vertrauen. Man ist vor Ort, spricht mit seinen Kollegen, auch bilateral. Auf diesem Weg können wir sagen, was für uns wichtig ist. Wir sprechen aber auch mit unseren Nachbarländern. Aber ja, am Ende wird auf Ebene der EU entschieden und wir müssen mit diesem Entscheid leben.
Wie kann ein solcher Migrations- und Asylpakt in Europa auch der Schweiz helfen?
Er würde insbesondere dabei helfen, die Sekundärmigration zu senken. Manche Personen kommen in die Schweiz, obwohl sie in einem anderen Land einen Asylantrag stellen müssten. Leute aus Ländern wie Tunesien denken, sie könnten nach Europa kommen und hier einen Schutzstatus bekommen und arbeiten.
Menschen, die keine Aussicht auf einen Flüchtlingsstatus haben, sollen nicht mehr nach Europa kommen.
Hier am Treffen in Brüssel wurde viel darüber gesprochen, dass man diesbezüglich ein präventives Narrativ etablieren will: Menschen, die keine Aussicht auf einen Flüchtlingsstatus haben, sollen nicht mehr nach Europa kommen. Man muss ihnen das schon in ihrer Heimat klarmachen und allenfalls auch dort helfen. Zudem braucht es griffige Massnahmen zur Bekämpfung der Schlepperei.
Ein wichtiger Punkt dieses Paktes ist der verstärkte Schutz der EU-Aussengrenzen. Welchen Beitrag leistet die Schweiz hier?
Eine Möglichkeit ist es, einzelnen Ländern zu helfen. Das tun wir derzeit etwa schon im Fall von Griechenland, Zypern oder Italien. Es gibt auch die Möglichkeit finanzieller Hilfe oder man stellt Personal zur Grenzsicherung bereit. Es ist aber noch zu früh, um dies festzulegen. Man muss diese Dinge gemeinsam diskutieren. Manche Klauseln im Migrations- und Asylpakt betreffen uns nicht direkt, andere schon. Diese Dinge müssen auf Grundlage der geltenden Gesetze geklärt werden.
Das Gespräch führte Charles Liebherr.