Aus Sicht der Wölfe in der Schweiz war das vergangene Jahr kein gutes. Im Versuch, Risse an Nutztieren zu verhindern, griffen die Behörden stärker in die Bestände ein als zuvor. Ganze Rudel wurden eliminiert. Die Psychologin Uta Maria Jürgens erklärt, wie die Beziehung zwischen Mensch und Wolf verbessert werden könnte.
SRF News: Mit welchem Wort würden sie den Beziehungsstatus zwischen Mensch und Wolf beschreiben?
Uta Maria Jürgens: In einem Wort würde ich sagen: ambivalent. Es gibt nicht die Beziehung zwischen Mensch und Wolf. Es gibt so viele Beziehungen zwischen Mensch und Wolf, wie es Menschen und Wölfe gibt. Wir sprechen oft über den Wolf als wäre er ein Abstraktum, dabei sind Wölfe Individuen mit eigenen Persönlichkeiten. Gerade für das Miteinander von Menschen und Wölfen ist dies relevant.
Ein Bergbauer mit Nutztieren hat einen völlig anderen Bezug zum Wolf als eine Städterin. Wie können wir zu einer Verständigung gelangen?
Wie bei jedem kontroversen politischen Thema ist es wichtig, miteinander zu sprechen. Es ist billig, diesen Dialog einzufordern und schwierig, ihn dann auch zu führen. Bei Forschungsprojekten, die die Interessengruppen gemeinsam an einen Tisch bringen, zeigt sich: Wenn man sich persönlich kennenlernt und aus der Lagerbildung herauskommt, ebnen sich Stadt-Land-Gegensätze ein. Es hilft dabei, die Lebenswirklichkeit und die Positionen des jeweils anderen besser zu verstehen.
Diejenigen, die für eine strenge Regulierung des Wolfsbestandes eintreten, sagen, dies sei notwendig, um die Akzeptanz gegenüber dem Wolf zu erhöhen. Kann Sie das Argument «Akzeptanz per Abschuss» überzeugen?
Gerade vonseiten der Jäger wird immer wieder behauptet, dass es die Akzeptanz des Wolfes erhöhen würde, wenn er wie andere Wildtiere reguliert werden dürfte. Dazu gibt es allerdings unterschiedliche Forschungserkenntnisse. Abschüsse bereiten in einer eher menschenzentrierten Werthaltung eine gewisse Genugtuung. Man erlangt das Gefühl, die Kontrolle über ein widerständiges Element der Natur ausüben zu können.
Wenn wir versuchen, den Wolf zu kontrollieren, es aber nicht schaffen, kann dies zu einer verringerten Akzeptanz führen.
Dabei handelt es sich aber um eine Illusion von Kontrolle, die ins Gegenteil umschlagen kann. Nämlich dann, wenn wir merken, dass sich Wölfe nicht so einfach kontrollieren lassen. So wie jedes andere Element der Natur auch, das eine Eigendynamik an den Tag legt. Wenn wir versuchen, den Wolf zu kontrollieren, es aber nicht schaffen, kann dies zu einer verringerten Akzeptanz führen.
Täuschen Begriffe wie «Wolfsmanagement» oder «Wolfsregulierung» etwas Unerreichbares vor, wenn sich Wildtiere gar nicht kontrollieren lassen?
Was meinen wir denn mit Regulation und Kontrolle? Wildtiermanagement umfasst viele Massnahmen, die nichts damit zu tun haben, dass ein Wolf getötet wird. Es gibt viele innovative Ansätze, über die viel zu wenig gesprochen wird. Diese versuchen auf intelligente Weise, mit der Biologie des Wolfes umzugehen.
Wie sehen Sie die Chancen, dass sich dieses ambivalente Verhältnis von Mensch und Wolf bessert?
Realistisch betrachtet sehe ich das kritisch. Die Bereitschaft für ein Umdenken bei der Frage, wie wir mit der Natur umgehen wollen, ist gering ausgeprägt. Ich befürchte, dass wir nicht bereit sein werden, Geld in die Koexistenz von Mensch und Wolf zu stecken. Obwohl wir davon ebenso sehr wie die Wölfe profitieren würden. Wenn wir als Gesellschaft ein gutes Zusammenleben mit der Natur erreichen wollen, müssen wir bei uns selbst anfangen. Wir dürfen die Last der Anpassung nicht allein auf den Wolf abwälzen.
Das Gespräch führte Markus Hofmann.