Fliegende Steine, Messerstecherei und ein schwerverletzter Teenager – es waren verstörende Bilder am Samstag in Zürich.
Bei einem Einsatz am Seebecken wurden Polizei und Sanität von Vermummten attackiert. Hunderte Mitläufer solidarisierten sich mit den Angreifern. Die Polizei musste Gummischrott, Tränengas und Wasserwerfer einsetzen, damit sie überhaupt zu den Verletzten vordringen konnte.
Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, erklärt den massiven Gewaltausbruch.
SRF News: Eine Attacke von rund 300 Personen gegen die Polizei – was steckt da dahinter?
Dirk Baier: Das war ein relativ seltenes Ereignis. Aber es markiert aus meiner Sicht nicht eine neue Qualität oder eine neue Entwicklung von Gewalt. Das hat es schon immer mal wieder gegeben. Wenn viele junge Männer alkoholisiert unterwegs sind, kann es unter Umständen zu einer solchen Gewalteskalation kommen. Wir sollten diesen Anlass nun nicht dazu verwenden, um zu sagen, dass hierzulande einiges falsch laufe oder dass es in der Schweiz ein Gewaltproblem gebe. Dem ist nicht so.
Über 200 Menschen solidarisierten sich mit den Randalierern und attackierten die Polizei und sie sagen, das sei kein neues Phänomen?
Dass es aus Gruppen heraus zu Gewalt kommt, dass sich junge Menschen gegenseitig aufschaukeln und Dinge tun, die sie alleine nie tun würden, ist nicht neu. Bei Fussballspielen sind solche Auseinandersetzungen schon seit den 1990er-Jahren bekannt.
Es ist an der Zeit, sich die Entwicklungen noch kritischer anzuschauen.
Das Phänomen sollte jetzt dennoch zum Anlass genommen werden, um sich zu fragen, ob gerade im Raum Zürich die Jugendlichen noch gut erreicht werden oder ob sie sich übermässig stark mit gewissen Fussballvereinen identifizieren und dies vielleicht auch als Vorwand nehmen, Gewalt auszuüben. Ich glaube, es ist an der Zeit, sich die Entwicklungen noch kritischer anzuschauen und mögliche Gegenstrategien zu entwickeln.
Wie könnten solche Gegenstrategien aussehen?
Aus meiner Sicht sind zwei Massnahmen notwendig. Erstens: Die Polizei muss weiterhin Präsenz und Stärke im öffentlichen Raum zeigen. Gerade am Wochenende, gerade im Zusammenhang mit Sportereignissen. Da müssen ausreichende Ressourcen da sein. Zweitens: Es muss eine schnelle Strafverfolgung zu diesem Ereignis geben. Die vorhandenen Beweismittel müssen genutzt werden, um die Täter schnell und spürbar zu bestrafen, damit ein Abschreckungseffekt stattfindet. Um dem Phänomen aber grundsätzlich Herr zu werden, braucht es schon eine längerfristige Strategie. Da sind wir bei Jugendarbeit. Dass wir den Dialog mit diesen jungen Erwachsenen führen müssen, dass wir verstehen müssen, aus welchen Zusammenhängen diese Gewalt entsteht und dann die richtigen Präventionsmassnahmen ergreifen.
Schockierend ist, dass auch Sanitäter von den Gewaltangriffen betroffen waren. War das Zufall, oder sehen Sie hier eine neue Dimension der Gewalt?
Das ist tatsächlich ein noch recht wenig untersuchtes Phänomen in der Wissenschaft. Wir wissen noch nicht, wer die Täter sind, die so etwas tun. Am Wochenende in Zürich waren die Rettungskräfte einfach ein Stück weit die Zufallsopfer. Sie waren dabei, als die Polizei intervenieren wollte. Sie sind dann in der Menge an Eingreifern mituntergegangen. Aber wir wissen aus allerersten Studien, dass die Angreifer recht ähnlich zu jenen sind, die auch Polizisten angreifen. Es handelt sich in der Regel um junge Männer, oft alkoholisiert, in einer emotional aufgeladenen Situation. Aus diesem Zusammenhang ergeben sich dann auch Übergriffe auf Einsatzkräfte.
Die neue Zürcher Sicherheitsvorsteherin will Bodycams bei der Polizei einführen. Sie haben ein Pilotprojekt der Zürcher Polizei dazu begleitet. Sind das richtige Massnahmen?
Man muss klar sagen: Auch Bodycams hätten das aktuelle Ereignis in Zürich nicht verhindert. Bodycams hätten aber möglicherweise dazu geführt, dass noch mehr verwertbare Aufnahmen und Beweismittel vorliegen würden, welche jetzt die Strafverfolgung erleichtern würde. Aber der Gewaltausbruch wäre dadurch nicht gestoppt worden.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.