Der Fluggesellschaft Swiss hatten die Piloten mit Streik gedroht, schliesslich wurde er in letzter Minute abgewendet. In Genf legten vorletzte Woche die Angestellten der Verkehrsbetriebe für anderthalb Tage die Arbeit nieder. Auch die Taxifahrer streikten dort. Und 20'000 Baubeschäftigte sprachen sich Mitte Oktober für Streikmassnahmen aus, im Tessin demonstrierten bereits 2500 Personen.
Werden Arbeitskonflikte nicht mehr am Verhandlungstisch, sondern vermehrt auf der Strasse oder mit Streiks ausgetragen, ist der Arbeitsfrieden in Gefahr?
«Wieder streikfähig»
Der Schweizer Historiker und Direktor des Schweizerischen Sozialarchivs Christian Koller sieht bei den Schweizer Gewerkschaften eine deutliche Entwicklung: «Die Gewerkschaften haben sich bemüht, wieder streikfähig zu werden und seit den 1990er-Jahren eigentlich auch an dem gearbeitet.»
Laut Koller hiesse das nicht, dass man leichtfertig dauernd streike, aber dass man wieder in eine Position gekommen ist, in der man einen Streik glaubhaft androhen und diesen auch professionell durchführen kann, wenn es so weit kommen sollte.
Das Klima ist generell rauer geworden.
Die Gewerkschaften hätten seit den 1970er- und 1980er-Jahren verlernt, wie man einen Streik durchführt. «Das Klima ist generell rauer geworden ab den 1990er-Jahren, auch seitens der Arbeitgeber», so Christian Koller. Es sei zum Teil auch die Sozialpartnerschaft infrage gestellt worden.
Auf der anderen Seite habe auch innerhalb der Gewerkschaften ein Generationenwechsel stattgefunden und es seien neue Kräfte, die auch kämpferische Position vertreten wollen, in wichtige Funktionen gekommen.
Unia sieht keine Zunahme von Streiks
Vania Alleva, Präsidentin der Gewerkschaft Unia, findet nicht, dass es in den letzten 20 Jahren vermehrt zu Streiks oder Protestaktionen gekommen sei. «Streiks sind auch immer Ausdruck davon, wie mit Lohn und Arbeitsbedingungen umgegangen wird», so Alleva.
Und sie seien ein Ausdruck davon, «dass es eine gewisse Radikalisierung gibt von Arbeitgeberseite, dass es keine Gesprächsbereitschaft gibt oder Angriffe eben auf die Lohn- und Arbeitsbedingungen.»
Die Zeit nach Corona oder die aktuell hohe Inflation führen dazu, dass Verhandlungen wieder zäher werden.
Auch laut Roland Müller, Direktor des Arbeitgeberverbandes, gibt es aktuell nicht häufiger Streiks: «Es gibt keine Trendwende. Es gibt aktuell aber mehr Gesamtarbeitsverträge, die auslaufen. Deshalb gibt es mehr Verhandlungen», so Müller. Aber es sei aktuell herausfordernder: «Die Zeit nach Corona oder die aktuell hohe Inflation führen dazu, dass Verhandlungen wieder zäher werden oder sind, als sie es früher waren.»
In der Schweiz herrschen vergleichsweise arbeitsfriedliche Zustände: Deutschland hat pro Kopf gerechnet 18-mal mehr Streiktage, Frankreich 48-mal mehr.
«Es wird wie bisher ab und zu einen Streik geben, die Schweiz ist kein streikfreies Land mehr», betont Historiker Christian Koller. Aber er geht davon aus, dass auch zukünftig hier nicht so oft gestreikt wird wie beispielsweise in Frankreich.