Die Solidarität der Schweizer Zivilbevölkerung gegenüber den geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern ist weiterhin überwältigend. Auch Gregory Juillerat aus Wohlenschwil im Kanton Aargau konnte nicht länger tatenlos zusehen und holte dreizehn ukrainische Frauen und Kinder in die Schweiz, wie er in der «Arena» am Freitagabend erzählte.
Juillerats Frau kommt ursprünglich aus der ostukrainischen Stadt Charkiw, die mittlerweile zum umkämpften Angriffsziel der Russen geworden ist. Freundinnen von Ludmilla Juillerat suchten mit ihren Kindern in Kellern Schutz vor den Explosionen und mussten über Tage in der Kälte ausharren, bevor sie nach Ungarn flüchten konnten.
Der Bund ist auf die Solidarität der Privaten angewiesen, aber die werden gerade sitzen gelassen.
Von da hat Gregory Juillerat sie mit zwei Kleinbussen in die Schweiz gebracht. Er sei dankbar über die grosszügige Hilfe aus der Bevölkerung, sagte Juillerat. Aber er mache sich auch Sorgen, dass die Solidarität anfange zu bröckeln, wenn der Bund nicht langsam tätig werde. «Ich habe auch Mühe, mit den Vorbildern, die wir hier in der Runde haben, wo jeder und jede eine Ausrede hat, wieso er oder sie keine Flüchtlinge aufnehmen kann», kritisierte er die Parteispitzen, die an diesem Abend zusammentrafen.
In den Bundesasylzentren sei man nicht vorbereitet auf die kommende Flüchtlingswelle, es gebe viel zu wenige Plätze für Geflüchtete. «Der Bund ist auf die Solidarität der Privaten angewiesen, aber die werden gerade sitzen gelassen», sagte Juillerat. Er hätte sich mehr von der Zusammenarbeit mit seiner Gemeinde erhofft. So dauerte es etwa, bis die Kinder der Ukrainerinnen hier eingeschult oder die Ukrainerinnen Sozialhilfe beziehen konnten.
Die Kantone stehen vor einer grossen Herausforderung
Die schnelle und unbürokratische Hilfe, die Justizministerin Karin Keller-Sutter versprochen hatte, ist in der Realität schwieriger zu realisieren als gedacht. Nach drei Wochen Krieg sind bereits über 9000 Menschen in die Schweiz geflüchtet. Keller-Suter geht davon aus, dass bis im Juni bis zu 50'000 schutzsuchende Ukrainerinnen und Ukrainer in die Schweiz kommen könnten. Während das Staatssekretariat für Migration (SEM) vor zehn Tagen noch sagte, man sei darauf vorbereitet, die geflüchteten Menschen aufzunehmen und unterzubringen, zeigen sich jetzt Schlangen vor den Bundesasylzentren.
«Die Kantone sind grösstenteils noch nicht so weit, um Tausende Geflüchtete aufzunehmen», sagte FDP-Präsident Thierry Burkart in der Sendung. Es fehle derzeit noch die Infrastruktur. Die Flüchtlingsströme würden eine riesige Herausforderung in den nächsten Tagen und Wochen. «Hier braucht es jetzt ein grosses Engagement der Kantone.» Burkart anerkannte aber auch die «einzigartige Leistung», welche die Behörden in dieser Ausnahmesituation jetzt schon erbrächten. «Dass nicht von einem Tag auf den nächsten alles perfekt läuft, das müssen wir hinnehmen.»
SVP-Fraktionschef zu seiner rassistischen Äusserung
Geht es nach Nationalrat und SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi sollen nur «richtige» Kriegsflüchtlinge in die Schweiz kommen dürfen. Das liess er in der Sonderdebatte im Parlament zum Krieg in der Ukraine verlauten. Auch mit einer weiteren Aussage im Ratssaal, und deshalb unter politischer Immunität, sorgte Aeschi für grosse Empörung: «Es darf nicht sein, dass Nigerianer oder Iraker mit ukrainischen Pässen plötzlich 18-jährige Ukrainerinnen vergewaltigen! Das darf nicht zugelassen werden.»
Auf Anfrage der Redaktion der «Arena», stufte die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (ERK) die Aussage klar als rassistisch ein: «Herr Aeschi nutzt rassistische Stereotype, um eine Gruppe von Menschen (in diesem Fall Iraker und Nigerianer) pauschalisierend als Vergewaltiger und Kriminelle darzustellen. Solche rassistischen Äusserungen, die Vorurteile fördern und die Ablehnung der betroffenen Gruppen schüren, sind zu verurteilen.»
Aeschi sagte in der Sendung, er habe mit seiner Aussage Bezug genommen auf einen Vorfall in Deutschland, bei dem ein mutmasslicher Nigerianer und ein mutmasslicher Iraker eine ukrainische Frau vergewaltigt hatten. Es sei ein Fehler gewesen, dass er dies nicht klarer hervorgehoben habe. Die SVP unterstütze den Schutzstatus S und die Aufnahme der geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer. Die Schweiz müsse aber sicherstellen, dass «im Schlepptau der richtigen Kriegsflüchtlinge» nicht auch Verbrecher ins Land kämen. «Jemand, der kriminell ist, hat kein Recht, in die Schweiz zu kommen.» Das sei seine Botschaft gewesen.
Aus Protest gegen seine Aussagen hatte die Grüne-Fraktionschefin Aline Trede die Einladung der «Arena» für die Debatte am Freitagabend im Vorfeld abgesagt. Die SRF «Arena» gebe «der rassistischen Hetze von SVP-Exponenten eine Plattform, indem sie die Entgleisung von Thomas Aeschi im Nationalrat aktiv thematisieren wird». Die Grünen wollten dies «nicht legitimieren».
Was mir Hoffnung gibt, sind die Menschen in diesem Land, die sich nicht spalten lassen.
Moderator Sandro Brotz sagte dazu: «Rassimus hat in der «Arena» absolut keinen Platz.» Die Redaktion der «Arena» gehe aber nicht auf Bedingungen und Druckversuche ein, die die journalistische Freiheit behinderten. «Es wäre unjournalistisch gewesen, Thomas Aeschi in der Sendung zu haben und ihn nicht auf seine Aussagen anzusprechen.» Diese wurden entsprechend eingeordnet.
SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer entschied sich ebenfalls für die direkte Konfrontation. «Rassismus kann nicht bekämpft werden, indem ich ihm aus dem Weg gehe, sondern indem ich mich ihm mitten in den Weg stelle», sagte Meyer in der Sendung. Was ihr Hoffnung gebe in dieser schwierigen Zeit, seien die Menschen, die sich nicht spalten liessen, die gerade in jetzt als Gesellschaft zusammenhielten.
Sie habe auch die grosse Hoffnung, dass die Schweiz in Zukunft die Menschen, die in die Schweiz flüchteten, solidarischer aufnehme als in der Vergangenheit «unabhängig davon, ob sie von Kiew flüchten oder von den Bomben aus Syrien oder vor der Talibanherrschaft aus Afghanistan».