Die Armeereform läuft seit Anfang Jahr. Und bereits zeigt sich, dass sie in einem wichtigen Punkt unter Druck gerät: beim Offiziersnachwuchs. Bis zur Stufe Zugführer lassen sich junge Schweizer offenbar noch einigermassen motivieren. Das ist aber die unterste Offiziersstufe. Beim nächsthöheren Rang, dem militärisch so wichtigen Hauptmann, hapert es.
Der Kommandant einer Panzerkompanie schreibt in der Schweizerischen Armeezeitschrift, dass es trotz des hervorragenden Korpsgeistes «nahezu unmöglich» sei, jemanden für die Stufe Hauptmann zu finden. Die Armeeführung habe es klar verpasst, «das Weitermachen auf höherer Stufe attraktiver zu machen».
Jede vierte Position vakant
Für Stefan Holenstein, Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft, gehören die Hauptleute zu den wichtigsten Elementen der Armee: «Sie stellen die Kommandanten und Stabsoffiziere. Die Armee braucht sie, um die Führungsfähigkeit der Einheiten sicherzustellen. Wenn diese fehlen, können wir den Einsatz vergessen.»
Seit 2005 weist die Armee einen ernsthaften Unterbestand an Hauptleuten und Stabsoffizieren aus. Obwohl der Mangel schon lange bekannt ist, konnte die Führung das Ruder offenbar nicht herumreissen. Neue Zahlen, die sich auf offizielle Angaben der Armee stützen, zeigen: Per 1. Juni konnten 674 Positionen auf Stufe Hauptmann nicht besetzt werden. Damit ist fast jede vierte Position vakant.
Die Vakanzen bestehen, obwohl die Armee mit der Reform den Sollbestand stark gesenkt hat (auf 2895 Hauptleute) und heute auf dem Papier sogar einen Überbestand verzeichnet. Offenbar sind aber gewisse Funktionen übervertreten, andere untervertreten. Ein Armeesprecher erklärt dies als Effekt der laufenden Reform, der sich «mittels natürlicher Fluktuationen und gezielter Steuerungsmassnahmen» einpendeln werde.
Bundesrat Parmelin: «Bis jetzt sehe ich kein Problem»
Bundesrat Guy Parmelin (SVP) sagt gegenüber der «Rundschau»: «Bis jetzt sehe ich kein Problem. Wir sind am Anfang der Reform. Es braucht ein bisschen Zeit. Wir haben einige Kinderkrankheiten. Die muss man korrigieren.»
Der Verteidigungsminister erklärt sich die schwierigere Ausgangslage damit, dass sich die Zeiten geändert hätten. «Die jungen Leute verbringen heute mehr Zeit mit der Familie, die Frauen arbeiten, die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt. Man muss sich anpassen. Eine Armee à la carte ist aber nicht möglich.»
Auch die Armee selber sieht offiziell kein Problem. In einem – bis anhin unveröffentlichten – Bericht über die Umsetzung der Reform zuhanden der Sicherheitspolitischen Kommissionen des Parlaments beschreibt sie die Kadersituation als «zufriedenstellend». Die Vorgaben hätten «mehrheitlich erfüllt» werden können. Und auch die wichtigen Kompaniekommandanten seien «knapp in der notwendigen Zahl vorhanden».
«Armee nur noch auf dem Papier»
Die offizielle Gelassenheit teilen die Offiziere nicht. Der Präsident der Offiziersgesellschaft kritisiert die Haltung im Bericht. Die Situation sei dramatischer als die Armee sie darstelle. Stefan Holenstein sagt: «Wir können das Problem nicht aussitzen.»
Holenstein warnt gar vor einem «Grounding der Armee»: «Im schlimmsten Fall befürchten wir, dass die Umsetzung der Armeereform nicht gelingt. Dass die Armee also nicht mehr einsatzfähig sein wird, sondern nur noch auf dem Papier existiert.» Holenstein fordert Sofortmassnahmen, unter anderem eine kürzere praktische Ausbildung für Hauptleute.
Wer am Ende recht hat in der Beurteilung der Situation, ist für Aussenstehende schwierig einzuschätzen. Unbestritten ist, dass sich die Kader-Situation weiter zuspitzt, weil jedes Jahr auch etliche Offiziere in den Zivildienst wechseln. Neue Zahlen zeigen, dass in den letzten drei Jahren (2015-2017) 174 Offiziere in den Zivildienst gewechselt haben, darunter sogar ein Major. Dazu kamen 1093 Unteroffiziere und höhere Unteroffiziere.