«Ich heisse Hadia», sagt ein Mädchen auf Italienisch. Hadia kommt aus Afghanistan. Sie fertigt eine Tasche an einem Nähtisch im hellen Atelierraum. Dieser befindet sich im frisch eingeweihten Sozialisierungszentrum am Stadtrand von Chiasso.
Nebenan im sehr grossen und verwinkelten Spielzimmer vergnügen sich rund zwei Dutzend Kinder. Ihre Tochter werde hier spielen, während sie Italienisch lerne, darauf freue sie sich, sagt Khalad aus Syrien. 150 Mütter und Väter werden hier in Italienisch unterrichtet.
Dieses Sozialisierungszentrum für Migrantenfamilien sei ein Glücksfall. Damit kehre Leben in das leerstehende Gebäude ein. Das sagt Roberta Pantani, ehemaliges langjähriges Regierungsmitglied: «Das hier ist der Beweis, wie wir in Chiasso für ein friedliches Zusammenleben arbeiten. Diese Räume hier stehen allen Familien offen, nicht nur Migrantenfamilien.»
Pantani redet von Beweis. Sie weiss um die aktuellen Negativschlagzeilen zum sogenannten Asylchaos in Chiasso. Bemerkenswert: Pantani politisiert seit Jahren für die Lega dei Ticinesi, also für die traditionelle Tessiner Rechtsbewegung. Sie betont: «In Chiasso lebt man gut. Natürlich haben wir als Grenzort auch Probleme. Und wir haben wie andere Orte auch Probleme mit Asylsuchenden. Wir kümmern uns um diese Probleme. Wir werden sie wie immer lösen.»
Bessere Verteilung der Asylsuchenden gewünscht
Auch Chiassos Gemeindepräsident Bruno Arrigoni von der FDP wehrt sich gegen das Image, in Chiasso sei man nicht mehr sicher: «Das, was da erzählt wird, stimmt nicht. Und es ist auch falsch, immer nur über die wenigen Asylsuchenden zu sprechen, die Probleme machen.» Es sei klar: Probleme wie Streitereien und Diebstähle nehmen zu, wenn die Zahl der Asylsuchenden steigt. «Die hohe Zahl an Asylsuchenden verunsichert vor allem die ältere Bevölkerung. Wir wollen, dass Bern und auch Bellinzona reagieren, damit es eben kein Chaos gibt. Wir wünschen uns, dass die Asylsuchenden besser verteilt werden», so Arrigoni.
Chiasso nimmt also auch den Kanton Tessin in die Pflicht. In Bellinzona spielt der für das Soziale zuständige Mitte-Regierungsrat Raffaela de Rosa den Ball zu. «Es kann sein, dass nur eine kleine Zahl Asylsuchender Probleme macht. Aber sie machen Probleme. Wir brauchen Instrumente, um die Unruhestifter von den anderen zu trennen.»
Sehr konkret ist das nicht. In Chiasso bleibt damit die Hoffnung auf den angekündigten Besuch der Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider. Die Verantwortlichen hoffen, dass dieser Besuch dazu beitragen wird, dass Chiasso – auch wenn die Flüchtlingszahlen noch weiter steigen – bleibt, wie es ist: ein Grenzort mit einer grossen historisch gewachsenen Erfahrung punkto Migration. Es ist ein alles in allem immer noch friedlicher Ort, weit weg vom Chaos.