Tobias Matter läuft entlang der Bahnhofstrasse in Luzern, mit ausgestrecktem Arm hält er ein Tablet vor sein Gesicht. Auf dem Bildschirm sieht der Projektleiter der Hochschule Luzern bis ins kleinste Detail, was die Bahnhofstrasse laut den Plänen der Stadt Luzern in ein paar Jahren sein wird: eine autofreie Flaniermeile, mit einer Baum-Allee, Bänken, Veloparkplätzen und Strassencafés.
Die Kamera des Tablets nimmt die tatsächliche Umgebung auf und ein Programm ergänzt diese mit den virtuellen Gebäuden und anderen Objekten, die geplant sind. Tobias Matter geht vor einem digitalen Baum leicht in die Knie und hält das Tablet Richtung Baumkrone. «Ich kann das geplante Bauvorhaben aus allen möglichen Perspektiven betrachten», sagt er.
Bessere Informationen für Laien
Das Forschungsteam der Hochschule hat das reale Gebiet der Bahnhofstrasse digital erfasst - und dann mittels Augmented Reality die geplanten Veränderungen darüber projiziert. So kann man auf dem Tablet die zukünftige Ausgestaltung bereits dreidimensional erleben.
Mit dieser sehr realistischen Darstellung möchte Tobias Matter das sogenannte Beteiligungsparadoxon auflösen. Er erklärt: Zu Beginn eines Bauvorhabens habe die Anwohnerschaft eigentlich den grössten Spielraum, Einfluss zu nehmen auf das Projekt. Gleichzeitig sei das Projekt zu diesem Zeitpunkt aber noch sehr abstrakt. «Meist gibt es nur 2D-Pläne, die für Laien sehr schwer lesbar sind. Das führt dazu, dass sich die Leute nicht wirklich dafür interessieren.» Oder: Sie fühlen sich schlecht informiert, haben viele unbeantwortete Fragen und begegnen dem Bauvorhaben deshalb mit Skepsis.
Anwohnerinnen involvieren
Mit Augmented Reality könnten solche Fragen gleich von Anfang an geklärt werden, meint Matter. Bereits arbeiten verschiedene Gemeinden mit der Hochschule Luzern zusammen. Neben der Stadt Luzern etwa Disentis für die Erneuerung des Ortskerns, oder Glarus bei der Gestaltung des Parks einer Überbauung.
Die Bevölkerung werde so besser über anstehende Bauprojekte informiert. Die Augmented Reality könne beispielsweise transparent und ehrlich zeigen, «wie hoch das geplante Gebäude wird und wo genau es Schatten wirft», so der Projektleiter.
Je aktiver die Betroffenen in die Planung involviert seien, desto breiter sei ein Projekt abgestützt. So liesse sich auch die eine oder andere Einsprache verhindern, ist Tobias Matter überzeugt. Das müsse sich erst noch zeigen, meint hingegen Christoph Niederberger, Direktor des Schweizerischen Gemeindeverbandes. Augmented Reality sei nur eine Möglichkeit, die Bevölkerung über ein Bauvorhaben zu informieren.
Zugänglich für breite Bevölkerung
Dennoch sieht Niederberger ein grosses Potenzial: «Es könnten neue Bevölkerungsgruppen dazu motiviert werden, sich stärker einzubringen.» Er denke da vor allem an die Jugendlichen, die sich wenig von den bisherigen Beteiligungsprozessen angesprochen fühlten.
Aktuell ist das Augmented-Reality-Programm nur beschränkt zugänglich. Je nach Bauprojekt konnte man es sich im Rahmen einer öffentlichen Führung anschauen. «Das Ziel ist jedoch, es irgendwann der breiten Bevölkerung zugänglich zu machen», sagt Tobias Matter. Etwa mit einem Download-Link auf der Webseite der betreffenden Gemeinde oder Stadt. Ein besonderes Gerät bräuchte es nicht, praktisch alle modernen Smartphones sind tauglich dafür.