Zwischen 1970 und 1999 sind wahrscheinlich mehrere Tausend Kinder aus dem Ausland illegal zur Adoption in die Schweiz gelangt. Das zeigt ein neuer Bericht. Diese widerrechtlichen Praktiken kennt man aus Sri Lanka. «Back to the Roots» versucht, Betroffene aufzufangen und ihnen zu helfen, mit ihrer Adoptionsgeschichte umzugehen. Sarah Ineichen ist Mitbegründerin des Vereins und selbst als Baby aus Sri Lanka zu Adoptiveltern in die Schweiz gekommen. Sie will nun auch Adoptierten aus anderen Ländern helfen.
SRF News: Was hat der Bericht bei Ihnen ausgelöst?
Sarah Ineichen: Ich bin schockiert. Für uns war klar, dass die Unregelmässigkeiten bei Adoptionen aus Sri Lanka nur die Spitze des Eisberges sind. Jetzt wird faktisch belegt, dass zehn weitere Herkunftsländer betroffen sind. Hinter diesen Zahlen stecken unzählige Schicksale.
Die Betroffenen sollen unterstützt werden. Bestmöglich.
Und wir sind betroffen: Kein Geldbetrag macht das wieder gut. Es wird Zeit, dass Bund und Kantone hinstehen. Wenn ein Fehler gemacht geworden ist, bin ich der Meinung, dass wir eine Entschuldigung erwarten können. Und die Betroffenen sollen unterstützt werden. Bestmöglich.
Back to the Roots ist Anlaufstelle für Adoptierte aus Sri Lanka. Wie sieht Ihre Arbeit aus?
Die Betroffenen werden von einer Referenzperson von uns begleitet. Zunächst führen wir einen Erstkontakt mit den Hilfesuchenden durch, erfassen ihre Adoptionsgeschichte, ihr familiäres Umfeld. Manchmal braucht es begleitend zum Prozess eine spezifische Traumatherapie. Wir analysieren die Unterlagen. Manchmal braucht es einen DNA-Test, weil alle Unterlagen gefälscht sind. Es ist ein lebenslanger Prozess, um die Fragen zu klären: Wer bin ich, wo und wann bin ich geboren, wer sind meine Eltern?
Das Hauptziel soll sein, dass die Betroffenen sich mit der Adoptionsgeschichte auseinandersetzen können, noch ein Stücklein Wahrheit erfahren und das Bestmögliche herausholen, damit es ihnen im Hier und Jetzt gut geht.
Das braucht viel Zeit.
Oftmals sind es Ausschlusskriterien. Wir überprüfen die Fakten in den vorhandenen Dokumenten. Sehr oft laufen sie ins Leere und die Betroffenen haben mehr Fragen als Antworten. Aber wir sind der Meinung, mit der Wahrheit umzugehen und diese zu verarbeiten, hilft den Betroffenen im persönlichen Prozess. Das Hauptziel soll sein, dass die Betroffenen sich mit der Adoptionsgeschichte auseinandersetzen können, ein Stücklein Wahrheit noch erfahren und das Bestmögliche herausholen, damit es ihnen im Hier und Jetzt gut geht.
Ihr Angebot wird genutzt?
Der Zulauf ist grösser als erwartet. Vereinbart worden waren im Pilotprojekt des Bundes 60 Personen, nach zwei Jahren sind bereits 70 Personen im Programm und weitere auf der Warteliste.
Erwarten Sie jetzt, wo noch neue Länder dazukommen, noch mehr Anfragen?
Auf jeden Fall. Wir haben laufend neue Anfragen – auch von Personen aus anderen Ländern als Sri Lanka, für die wir noch keine Finanzierung haben.
Und wie sieht es mit den Kapazitäten aus, um weitere Betroffenen zu betreuen?
Aktuell haben wir die Ressourcen nicht. Das Konzept wäre aber ausbaufähig auf alle Herkunftsländer.
Es braucht eine behördenunabhängige Anlaufstelle, zu der die Betroffenen Vertrauen aufbauen können.
Wie geht es mit Back to the Roots weiter? Das Pilotprojekt des Bundes läuft ja Ende 2024 aus.
Wir reichen jedes Jahr ein Reporting ein, die Nachfrage ist da, die Wirkung ist da, die notwendige Unterstützung können wir leisten. Es ist nun an Bund und Kantonen, auf uns zuzukommen und dieses Projekt zu verlängern oder sogar auf alle im Ausland adoptierten Personen auszuweiten.
Was sagen Bund und Kantone dazu?
Der Bund sagt, dass die Kantone bei der Herkunftssuche zuständig sind. Die Kantone sagen, dass die Zuständigkeit bis heute nicht geklärt ist. Wir selbst sehen ganz klar: Es braucht eine behördenunabhängige Anlaufstelle, zu der die Betroffenen Vertrauen aufbauen können.
Der Bund hat eine Expertengruppe eingesetzt, die das Adoptionsrecht überprüfen soll. Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Es muss gewährleistet werden, dass solche Fälle nicht wieder passieren.
Das Gespräch führte Christine Wanner.