Es sind Ausnahmeerscheinungen: Auslandschweizer, die unter der Bundeshauskuppel politisieren: Neben dem nun zurückgetretenen Tim Guldimann (SP/ZH) können sich auch die Parlamentsdienste für die vergangenen Legislaturen nur noch an Ruedi und Stephanie Baumann erinnern.
Der Biobauer (Grüne/BE) wurde 1991 in den Nationalrat gewählt, seine Ehefrau rückte 1994 auf einen frei gewordenen SP-Sitz nach. 1995 und 1999 wurden beide wiedergewählt. 2001 übergab das Ehepaar den Landwirtschaftsbetrieb den Söhnen und zog nach Frankreich. Der grüne Nationalrat und die SP-Nationalrätin blieben aber bis November 2003 – also bis Legislaturende – im Amt.
Tim Guldimann ist somit der bisher einzige Parlamentarier, der im Zeitpunkt seiner Wahl im Ausland lebte.
Rechtlich den ansässigen Schweizern gleichgestellt
Dabei gibt es für Schweizer, die einen festen Wohnsitz im Ausland haben, nicht viel mehr rechtliche Hürden als für ansässige. Sie müssen folgende Bedingungen erfüllen: das Schweizer Bürgerrecht haben und spätestens am Wahltag volljährig werden.
Zudem müssen sie im Stimmregister für Auslandschweizer eingetragen sein. Letzteres kann man in einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung im Wohnsitzland tun. Diese meldet dann die Person an die Stimmgemeinde – also der Heimatgemeinde oder dem letzten Wohnsitz in der Schweiz. Auch Doppelbürger können kandidieren.
Geld und Zeit – zwei Hürden
Was mögliche finanzielle Hürden betrifft, so gibt es Unterstützung: für die Reisekosten vom Wohnort bis nach Bern werden Parlamentarier mit Wohnsitz im Ausland angemessen entschädigt – wie auch die in der Schweiz wohnhaften Parlamentarier Pauschalentschädigungen für ihre Reisen im Inland erhalten.
Viel eher ist das Nationalratsamt eine zeitliche Herausforderung. «Man muss viermal im Jahr an den Parlamentssessionen teilnehmen und in den Kommissionen mitarbeiten. Diese Aufgaben wahrzunehmen ist, auch wenn man im Nachbarland Deutschland lebt, fast unmöglich», sagt die Direktorin der Auslandschweizerorganisation (ASO), Ariane Rustichelli, gegenüber Swissinfo.
Die fehlende Basis
Die grösste Hürde für Parlamentarier mit Wohnsitz im Ausland bildet aber die Wahl. Von eher schwereren Voraussetzungen spricht Martin Stucki, FDP-Sprecher.
Das hat vor allem drei Gründe:
- Die sogenannte 5. Schweiz hat keinen eigenen Wahlkreis. Verschiedene entsprechende Vorstösse sind gescheitert. Ein Argument der Gegner: Im Ständerat müssten zwei weitere Sitzplätze eingerichtet werden, was unmöglich sei. Somit fehlt den Kandidaten aus dem Ausland ein grösseres Stammgebiet, die Stimmen ihrer Wähler splittern sich auf einzelne Herkunftskantone auf.
- In ihrer ursprünglichen Heimat sind Auslandschweizer weniger bekannt als die lokalen Politgrössen. Silvia Bär, stellvertretende Generalsekretärin der SVP Schweiz, schätzt die Chancen von Auslandkandidaturen denn auch bei praktisch null ein: «Ausser sie sind so bekannt wie Roger Federer».
- Bei der SP weiss man zudem, dass nur Kandidaturen auf den Hauptlisten und in grossen Kantonen wie Bern oder Zürich überhaupt Chancen haben, genügend Stimmen auf sich zu vereinen. Auslandschweizern und -schweizerinnen werde dies mitgeteilt, wenn sie auf separaten, internationalen Listen kandidieren. Letzteres ziele allerdings weniger auf eine tatsächliche Wahl, sondern ermögliche, sich unter den Landsleuten im Ausland bekannt zu machen – etwa um später für den Auslandschweizerrat zu kandidieren.
Der Goodwill der Parteien
Und dann sind sie auf den Goodwill der Parteien – allen voran den Kantonalsektionen angewiesen, ob sie auf deren Listen aufgenommen werden. Das tun die grossen Schweizer Parteien tatsächlich.
Dabei sind die SVP und die SP die Parteien mit den meisten Auslandschweizerlisten. Aber auch bei der CVP oder FDP gibt es immer wieder Kandidaten, die ihren festen Wohnsitz nicht in der Schweiz haben.
Bei den letzten Wahlen kam da manch einer auf über 1000 Stimmen – Wählerstimmen, die letztlich der Gesamtpartei zu Gute kommen.
Der drittgrösste «Kanton»
So sind die rund 750'000 Auslandschweizer denn auch ein interessantes Wählersegment. Nach Bern und Zürich ist die sogenannte 5. Schweiz der grösste «Kanton».
Deshalb freue man sich über solche Kandidaten, sagt zum Beispiel Silvia Bär von der SVP – denn die Kandidaten kennen die Anliegen der Schweizer mit Wohnsitz im Ausland, sind ihnen nahe und erhalten so vielleicht manche Wählerstimme.
Und darum nimmt man auch bei der CVP die Kandidaturen ernst: «Es handelt sich nicht um Alibi-Kandidaturen oder gar einen Wahlgag», betont Béatrice Wertli, Generalsekretärin und 2015 Wahlkampfleiterin der CVP.
Ideale Konstellationen sind selten
Die Stimme der Auslandschweizer sei allerdings auch ein Auftrag, sich dann für deren Anliegen einzusetzen, mahnt Martin Naef, Co-Vizepräsident der SP-International und selbst Nationalrat.
Denn wer nur leere Versprechungen gibt, erhält die Quittung der Wähler – das ist allen bewusst. Bevor aber überhaupt je einmal ein Auslandschweizer aus dem Nationalrat abgewählt werden kann, muss er zuvor gewählt werden.
Damit aber rechnet kaum jemand in nächster Zeit. Denn darin ist man sich einig: Der Erfolg von Tim Guldimann basiert auf einer idealen Konstellation und lässt sich so bald nicht wiederholen.