- Bundespräsident Ignazio Cassis hat am Auslandschweizer-Kongress in Lugano die Demokratie ins Zentrum seiner Rede gestellt.
- Nach einer zunehmenden Demokratisierung weltweit laufe die Geschichte seit dem russischen Angriff auf die Ukraine wieder rückwärts Richtung Autokratie.
- «Seit einiger Zeit war spürbar, dass eine Epoche vermeintlicher Stabilität zu Ende geht», sagte Cassis am Samstag in Lugano.
«Der brutale Angriffskrieg einer Uno-Vetomacht gegen ein souveränes Land in Europa hat diesen Epochenwechsel beschleunigt. Wir leben heute in einer neuen Welt», so der Schweizer Aussenminister in Anspielung auf den russischen Überfall auf die Ukraine.
Alternative Entwicklungsmodelle im Aufschwung
Russlands Krieg habe die Friedensordnung Europas zum Einsturz gebracht. Das Völkerrecht werde nicht respektiert oder teilweise gar mit Füssen getreten. Aufstrebende Mächte grenzten sich vom Westen ab. Stattdessen propagierten sie alternative Gesellschafts- und Entwicklungsmodelle.
«Ich denke dabei natürlich vor allem an China», sagte Cassis. Das Land zeige eine beispiellose wirtschaftliche Entwicklung, die aber weder auf Demokratie noch auf einer liberalen Marktwirtschaft beruhe.
Demokratie auch von innen bedroht
Die Globalisierung laufe derzeit insgesamt rückwärts, und die Weltwirtschaft leide. «Multilaterale Lösungen für die grossen globalen Herausforderungen sind heute wichtiger denn je», sagte Cassis. Aber viele internationale Organisationen täten sich schwer. Sie seien in einer anderen Zeit erschaffen worden.
Auch in Europa sähen sich liberale Demokratien mit Vertrauenskrisen konfrontiert. Populistische Strömungen seien seit der Finanzkrise 2008 immer wieder aufgeflammt. Die Demokratie und der liberale Fortschritt seien also alles andere als gesichert.
Liberale Demokratien haben im Wettbewerb der Systeme nach wie vor ein paar Asse im Ärmel.
Demokratien seien heute aber nicht nur von aussen, sondern auch von innen bedroht. «Illiberale Kräfte zeigen sich teilweise bereit, die demokratischen Institutionen, denen sie ihr Mandat verdanken, auszuhöhlen und wenn nötig zu Fall zu bringen», so Cassis. Von einer «Zeitenwende» zu sprechen, sei nicht übertrieben. Doch er sei zuversichtlich. «Ich bin auch überzeugt, dass liberale Demokratien im Wettbewerb der Systeme nach wie vor ein paar Asse im Ärmel haben», sagte der Bundespräsident.
Der kritische Bürgerdialog ist eine der grossen Stärken der Demokratie.
Zwar produzierten auch sie immer wieder Fehlleistungen. Aber sie könnten auch enorm leistungsfähig sein. «Vor allem liberale Demokratien verfügen über Korrekturmechanismen, mit denen Fehlentwicklungen justiert werden können. Der kritische Bürgerdialog ist eine ihrer grossen Stärken», sagte Cassis.
Demokratie gegen Autokratie
Es zeichne sich ab, dass das Ringen zwischen Demokratien und Autokratien in den nächsten Jahren prägend werde. Dem müsse der Bundesrat in seiner nächsten Aussenpolitischen Strategie Rechnung tragen, so Cassis. Diese Strategie für die Jahre 2024 bis 2027 werde er im kommenden Jahr verabschieden. «Um unsere grossen globalen Probleme bewältigen zu können, müssen alle Staaten zusammenarbeiten. Dazu braucht es ein Minimum an Vertrauen – und Brückenbauer wie die Schweiz», sagte Cassis.
Um unsere grossen globalen Probleme bewältigen zu können, müssen alle Staaten zusammenarbeiten
Um die Demokratie weiter zu stärken und zukunftsfähig zu machen, spielen die Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer aus Sicht des Bundespräsidenten eine wichtige Rolle. Denn: mit ihrem Blick von aussen und den Erfahrungen aus ihren Gastländern könnten sie oft wichtige neue Erkenntnisse zutage fördern, betonte er an deren Kongress in Lugano.