Im Zuge der Coronakrise war befürchtet worden, dass im Herbst viele junge Menschen ohne Lehrstelle dastehen. So deutlich sind diese Befürchtungen nun nicht eingetreten. Nur drei Prozent weniger Jugendliche haben einen Lehrvertrag ausgeschlossen als vor einem Jahr. Allerdings täuscht diese Zahl über die regionalen Unterschiede hinweg.
Lage im Welschland und Tessin nicht erfreulich
In der Westschweiz und auch im Kanton Tessin stehen heute noch deutlich mehr Jugendliche ohne Lehrvertrag da. Im Kanton Waadt sind es im Vergleich zum Vorjahr 17 Prozent weniger. Im Kanton Genf sogar ein gutes Viertel, also 24 Prozent weniger Jugendliche mit einem Lehrvertrag. Und auch im Kanton Tessin sind die Zahlen nicht berauschend: 16 Prozent weniger abgeschlossene Lehrverträge als im Vorjahr.
Der Grund ist laut Erwin Fischer, Direktor der Berufsbildungsabteilung in Genf: die Coronakrise. Man sei auf einem guten Weg gewesen, sagt Fischer. Noch im März waren mehr Lehrverträge unterschrieben worden als im Jahr zuvor. Doch dann kam der Shutdown. Die Firmen mussten ihren Betrieb runterfahren, die Jungen blieben zu Hause. Ende April fehlten noch tausend Lehrplätze, die an potenzielle Lehrlinge vergeben werden hätten können. Heute sind es noch 400.
In Genf werden die Hälfte der Lehrverträge zwischen Juni und August unterzeichnet.
Dass das in der Deutschschweiz nicht passiert ist, liegt auch daran, dass traditionell Lehrverträge deutlich früher vergeben werden. Anders in der Romandie: «In Genf werden die Hälfte der Lehrverträge zwischen Juni und August unterzeichnet. Das ist jetzt eine schwierige Situation, weil viele Unternehmen weniger oder gar nicht arbeiten. Seien es Hotels, die Gastronomie», sagt Fischer. Das sei eine Katastrophe.
Berufslehre geniesst in Romandie wenig Ansehen
Unabhängig vom Zeitpunkt der Lehrstellensuche hat diese Ausbildungsform in der Westschweiz aber einen schweren Stand. Während in deutschsprachigen Kantonen eine duale Ausbildung gut verankert und von Berufsverbänden gestützt ist, absolvieren im Kanton Genf nur vier Prozent aller Jugendlichen eine klassische Berufslehre.
Bei der akademischen Elite in der Westschweiz hat die Berufslehre eine Art soziales Stigma. So etwas für die Schwächeren.
Ökonom Rudolf Strahm erklärt: «Bei der akademischen Elite in der Westschweiz hat die Berufslehre eine Art soziales Stigma. So etwas für die Schwächeren. In der deutschen Schweiz hat die Berufslehre aber ein hohes soziales Prestige auch in der Wirtschaft.»
Genf verlängert Frist
In Genf hat man reagiert. Man will die Lehrausbildung fördern. Einerseits mit mehreren tausend Franken, die Firmen erhalten können, wenn sie Lehrlinge anstellen. Andererseits können Lehrverträge nicht nur bis im Sommer, sondern in diesem Jahr noch bis November unterschrieben werden. Um die Corona-bedingte Bewerbungs- und Anstellungspause aufzufangen.