Ein Mann im Rollstuhl versucht, in einen FV Dosto zu gelangen. Nach mehreren Versuchen – und nur mit grosser Mühe – schafft er es. Kaum ist der Mann im Eingangsbereich des Zuges, steht er auf und verlässt den Zug zu Fuss wieder.
Auch andere Männer, die offensichtlich ebenfalls keine Beeinträchtigung haben, versuchen, mit dem Rollstuhl in den SBB-Zug zu kommen. Das ist auf Videos zu sehen, die die Tests zur Rollstuhlgängigkeit der FV Dosto-Züge dokumentieren. SRF ist im Besitz dieser Videos.
Für den Dachverband der Behindertenorganisationen ist es inakzeptabel, dass Personen ohne Beeinträchtigung überprüfen, ob ein Zug behindertengerecht ist.
«Personen mit einer Behinderung, die im Rollstuhl sitzen, haben im Gegensatz zu Menschen ohne Behinderung gewisse Körperfähigkeiten nicht. Wenn zum Beispiel der Rollstuhl nach hinten zu kippen droht, können sie je nachdem nicht einfach mit dem Oberkörper nach vorne kippen, um das Gleichgewicht zu halten», sagt Caroline Hess-Klein, die Abteilungsleiterin Gleichstellung von Inclusion Handicap.
Testergebnisse sind ungültig
Zudem seien die Rollstühle, die in den Videos zu sehen sind, für ÖV-Reisen ungeeignet. Sie kämen vor allem in Spitälern und Heimen zum Einsatz.
Für den Dachverband der Behindertenorganisationen ist deshalb klar: Die Testergebnisse hätten keinerlei Bedeutung. Sie würden nichts über die Realität von Personen mit Behinderungen im Rollstuhl aussagen.
SRF hat das Bundesamt für Verkehr mit diesen Vorwürfen konfrontiert. Es teilt mit, dass bei den Tests grösstenteils Dummys (Kunststoffpuppen) eingesetzt worden seien. Nur so lasse sich objektiv und genau bestimmen, wie viel Kraft Menschen mit Behinderung haben müssten, um selbständig in den Zug ein- und daraus wieder aussteigen zu können.
Zu den Personen, die in den Aufnahmen zu sehen sind, schreibt das BAV, dass diese die Tests mit den Dummys lediglich ergänzt hätten: «Hier ging es darum, den Ein- und Ausstieg zusätzlich mit verschiedenen anderen Körpermassen zu erproben und generell ein Gefühl für die Fragestellung zu erhalten.»
Nicht ohne Personen mit Behinderung
Für Caroline Hess-Klein von Inclusion Handicap zeige dieses Vorgehen ein grundsätzliches Problem: «Das heisst, dass man hier konkret beim BAV, aber auch bei anderen Behörden noch nicht begriffen hat, dass man nicht ohne Personen mit Behinderungen vorgehen kann, um gewisse Fragen zu klären, bei denen es im Kern um Auswirkungen auf Menschen mit Behinderungen geht. Nur sie haben gewisse Erfahrungen und Erkenntnisse, die zur Klärung beitragen können.»
Nun ist das Bundesamt für Verkehr am Zug. Es muss gestützt auf die Tests beurteilen, ob die FV-Dosto-Züge wirklich behindertengerecht sind. Hess-Klein hat bereits angekündigt, diese Angelegenheit vor das Bundesverwaltungsgericht zu ziehen, sollte das BAV diese Frage mit «Ja» beantworten.
Es ist also gut möglich, dass die neuen Fernverkehrszüge der SBB noch lange ohne definitive Betriebsbewilligung fahren werden.