Unsere Nachbarländer haben den Impfturbo gezündet. Bei uns läuft der Impfbetrieb hingegen noch eher schleppend. Kommt hinzu: Es könnten potentiell mehr Menschen geimpft werden, wenn der Impfstoff richtig aufgezogen würde. Impfstoff bleibt in Spritzen und Fläschchen zurück – und landet im Abfall.
Mehr Dosen aus einer Flasche
Die Rechnung ist einfach: In einem Fläschchen des Pfizer/Biontech-Impfstoffes Comirnaty sind 0,45 ml Grundsubstanz, die mit 1,8 ml Natriumchlorid (NaCl) verdünnt werden müssen. Jedes Fläschchen enthält am Schluss 2,25 ml Impfstoff.
Eine Impfdosis von Pfizer/Biontech beinhaltet 0,3 ml. In einem Fläschchen wären also maximal 7,5 Dosen. Ähnlich sieht es beim Impfstoff von Moderna aus: Die Fläschchen sind mit offiziellen 10 Dosen des fertig gemischten Impfstoffes befüllt. Da der Hersteller aber etwas mehr zugibt, können bis zu 12 Dosen aufgezogen werden. Auch hier gilt: jede Patientin, jeder Patient erhält die vorgeschriebene Dosis Impfstoff.
Der Kanton Bern hat früh gemerkt, dass mit der richtigen Technik und dem richtigen Spritzenmaterial mehr Dosen aus den einzelnen Fläschchen herausgeholt werden können – in der Regel. Schon im Februar hat die Gesundheitsdirektion zusammen mit dem Sonderstab Corona ein Merkblatt erarbeitet, das das Aufziehen und Verimpfen ohne sogenannten Totvolumenverlust(siehe Box) erklärt. «Das braucht etwas Übung und ein genaues Umsetzen der Instruktionen. Aber auch dann gelingt es nicht immer», sagt Jacques Lindgren. Der Arzt für Innere Medizin und für Tropenmedizin hat das Merkblatt für die Gesundheitsdirektion und den Corona-Sonderstab des Kantons Bern verfasst.
Das Beispiel macht nicht nur Schule
Inzwischen folgen andere Kantone dem Berner Beispiel. Und das Impfpersonal vor Ort versucht das Optimum aus den Fläschchen zu holen. «Jede Dosis hat die vorgeschriebene Menge Impfstoff. Da machen wir keine Abstriche», sagt Lindgren.
Es gibt aber auch Kantone, die nach wie vor gemäss den offiziellen BAG- und den Herstellerangaben impfen. Dort bleiben zusätzliche Dosen ungenutzt. Nimmt man das Impftempo der letzten Wochen zum Massstab, wäre ein bis zu zehn Kalendertage schnelleres Impfen möglich. Für alle, die auf eine Impfung warten, eine kleine Ewigkeit.
Ärzte wünschen sich vom BAG mehr Innovation
Für Philippe Luchsinger, Präsident der Haus- und Kinderärzte Schweiz, ist klar: Das Bundesamt für Gesundheit müsste hier mehr Leadership beweisen. «Wir wünschen uns, dass man weniger an den Formalismen hängen bleibt, innovativ ist und möglichst das Optimale herausholt.» Wenn jeder Kanton immer alles selbst interpretieren müsse, werde das Rad jedes Mal 26 Mal neu erfunden.
Virginie Masserey, Leiterin Sektion Infektionskontrolle BAG, nimmt am Rande der wöchentlichen Pressekonferenz gegenüber «Kassensturz» zu den Forderungen der Ärzteschaft und der Kantone Stellung: «Wir empfehlen, die Gebrauchsanweisung der Hersteller zu befolgen. Dabei ist vorgesehen, dass die Ampullen Sicherheitsreserven enthalten, und es ist nicht gedacht, dass mehr als sechs Dosen aus ihnen gequetscht werden. Das wäre nicht im Sinne der Sicherheit und Wirksamkeit.» Weiter erklärt Masserey, das BAG habe eine gewisse Anzahl Dosen bestellt, nicht eine gewisse Anzahl Ampullen. Diese Dosen sollen verimpft werden.