Es rumort zwischen Bern und Brüssel. Wieder einmal. Nach jahrelangen Verhandlungen steht das Rahmenabkommen vor dem Aus: Ob Sozialpartner, Wirtschaftsverbände, Parteien – kaum jemand spricht sich aus voller Kehle für das Vertragswerk aus. Und auch am Stammtisch sind seine Advokaten rar gesät.
In Brüssel sorgt das zusehends für Konsternation: Ein vertraulicher Bericht der EU-Kommission wirft der Schweiz mangelnde Motivation vor. Man wolle das Abkommen gar nicht umsetzen. Die Schweiz habe nicht seriös verhandelt. Die Vorwürfe sind happig. Aber sind sie auch zutreffend?
Nein, findet der Politologe Laurent Goetschel von der Universität Basel: «Die Schweiz hat versucht, den Handlungsspielraum auszuloten und ein Interesse daran, dass am Schluss ein Ergebnis vorliegt, das für sie vertretbar ist.»
Als Auslöser für die bilaterale Verstimmung sieht Goetschel unterschiedliche Erwartungshaltungen: Während die Schweiz auf Nachverhandlungen in umstrittenen Punkten hoffte, drängte die EU auf einen schnellstmöglichen Abschluss. Das Brüsseler Powerplay führte aber nicht dazu, dass die Schweiz klein beigab. Im Gegenteil.
Mit extremer Führungsstärke in der Europapolitik glänzt der Bundesrat in den letzten Monaten nicht
«Das ist auch normal. Für die Schweiz geht es um sehr wichtige internationale Verhandlungen», bilanziert der Direktor der Schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace. «Da kann zwischendurch auch die öffentliche Kommunikationsschiene als Mittel für ein solches Machtspiel verwendet werden.»
Die EU-Kommission wirft dem Bundesrat Führungslosigkeit vor. «Mit extremer Führungsstärke in der Europapolitik glänzt der Bundesrat in den letzten Monaten nicht», sagt Goetschel dazu. Aber: Die innenpolitische Ausgangslage sei vertrackt. Es gebe links wie rechts Opposition, und es sei schwierig, das komplexe Rahmenabkommen nach aussen zu kommunizieren.
Um das Vertragswerk verkaufen zu können, bräuchte es jedoch auch gewichtige Stimmen, die vorbehaltlos dahinterstehen. Eine Erwartungshaltung vonseiten der EU, die die Schweiz in ihrem besonderen Verhältnis zu Europa kaum je einlösen kann – denn der Politologe ortet ein Grundsatzproblem: Für die Schweiz sei seit Jahrzehnten klar, dass sie der EU nicht beitreten möchte. Gleichzeitig sollten die Folgen des Nicht-Dabeiseins möglichst klein gehalten werden.
Goetschel bemüht ein Schweizer Bonmot: «Man kann nicht den Fünfer und das Weggli haben. Ab und zu wird das allen Politikerinnen und Politikern bewusst. Dann hat man eine Diskussion, wie man sie jetzt vorfindet.»
In der Schweiz herrscht derzeit die Meinung vor, dass die EU keine substanziellen Zugeständnisse an die Schweiz machen wird. Die EU-Kommission hält in ihrem Bericht aber fest, es gebe Möglichkeiten, die angesprochenen Probleme zu lösen. Könnte der gordische Knoten beim Rahmenabkommen also doch noch gelöst werden?
Auch der Politologe stochert im Verhandlungsnebel. «Die Tatsache, dass wir das nicht wissen, zeigt auch, dass die Verhandlungen zu ihrem interessanten Schlusspunkt gekommen sind.» Ein klares Interesse daran, Zugeständnisse zu machen, sei aber auf beiden Seiten kaum erkennbar.
Nächste Woche hat sich eine Bundesrats-Delegation in Brüssel angekündigt. Ein Indiz für den guten (oder schlechten) Willen der Schweiz wird für Goetschel deren Zusammensetzung sein. Sollte «nur» Bundespräsident Guy Parmelin die Reise antreten, dürfte das nicht eben als Zeichen der Euphorie gewertet werden.