Ober Buhus, oberhalb von Trubschachen im Emmental: Andrin Gross geht zusammen mit seiner Forschungskollegin langsam über die Weide. Er ist Leiter von Swissfungi, dem Daten- und Informationszentrum der Schweizer Pilze. Es ist der eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft angegliedert.
Mit den Augen suchen sie den Boden der Weide ab – auf einmal ist er da, der Rosenrote Saftling: «So cool. Sie hat ihn gefunden.» Speziell an diesem Pilz sei schon nur das Aussehen, sagt Gross: «Er ist rosenrot und spitzkegelig. Eine einzigartige Pilzart. Unverwechselbar.»
Der Pilz gilt in der Schweiz als vom Aussterben bedroht. Er ist eine von zwölf Pilzarten in der Schweiz, die geschützt sind. Deshalb erarbeitet Andrin Gross zusammen mit seinem Team einen Aktionsplan für den Rosenroten Saftling im Kanton Bern.
Denn dieser Pilz ist ein wichtiger Indikator: «Es ist eine Schirmart. Wenn dieser Pilz vorkommt, weiss man, dass noch andere Saftlinge, andere schützenswerte Pilze, auf dieser Wiese vorkommen. Darum ergibt es Sinn, sich auf diesen Pilz zu konzentrieren. Denn er zeigt ein Stück weit die Qualität einer Wiese für die Pilze an.»
Vernetzte Arten und Ökosysteme
Mit dem Pilz hänge ein ganzes Ökosystem zusammen, so Andrin Gross: «In den Ökosystemen sind die einzelnen Arten stark miteinander vernetzt. Nicht nur innerhalb der Pilze. Pilze sind mit den Pflanzen vergesellschaftet. Pflanzen wiederum werden von Säugetieren gefressen. Die machen dann einen Kuhfladen. Dann kommen spezifische Insekten. Wenn wir diese Ökosysteme zu stark stören, kann es sein, dass diese ins Wanken geraten und irgendwann zusammenbrechen.»
Es geht also um die Vielfalt innerhalb der Arten und um die Vielfalt der Ökosysteme. Wenn eine Art wie beispielsweise der Rosenrote Saftling verschwinde, sei das nicht immer sofort schlimm, erklärt Daniela Pauli, Leiterin des Forums Biodiversität bei der Akademie der Naturwissenschaften.
«Kipppunkte im Ökosystem»
Man müsse sich das Ganze wie ein Netz vorstellen. Ein Netz, das mit jeder Art, die verschwindet, mehr Löcher bekommt: «Für lange Zeit trägt dieses Netz. Das heisst, die Ökosysteme funktionieren weiter. Sie können ihre Leistungen erbringen.»
Die Bestäubung sei noch möglich. Wasserreinigung, Klimaregulation und die Stabilisierung von Hängen funktionierten bis zu einem gewissen Grad. «Das funktioniert alles relativ lange. Aber irgendwann werden diese Löcher im Netz so gross, dass es eben nicht mehr funktioniert. Wir reden dann von Kipppunkten im Ökosystem.»
Dabei ist die Biodiversität nicht dort besonders gross, wo es besonders grün sei, im Gegenteil: «Wo es ein bisschen weniger gedüngt ist, bräunlich, weniger aufgeräumt. Wenn man auch einmal etwas offenen Boden sieht. Wo es etwas ungepflegter aussieht, dort ist die Biodiversität.»
Als Mensch können wir gar nicht genau einschätzen, was die Pilze uns genau bringen.
Auf einer solchen Wiese hat Andrin Gross auch den Rosenroten Saftling gefunden. Er schaut ihn an und sagt, vielleicht wüssten wir Menschen noch gar nicht, welche Aufgaben dieser Pilz übernehme.
«Man weiss auch nicht genau, was verloren geht. Als Mensch können wir gar nicht genau einschätzen, was die Pilze uns genau bringen. Darum wäre es fahrlässig, wenn es uns gleichgültig wäre und wir die Pilze nicht schützen würden», so Gross. Daher sei es wichtig, sich für die Biodiversität einzusetzen und sich somit auch um den Rosenroten Saftling zu kümmern.