Es war einer von vielen Nadelstichen der EU, um die Schweiz zum Nachgeben zu zwingen im Ringen um das höchst umstrittene Rahmenabkommen. Die EU weigerte sich Mitte 2019, die Regulierung der Schweizer Börsen weiterhin als gleichwertig anzuerkennen, und liess die sogenannte «Börsenäquivalenz» auslaufen.
Das hätte gravierende Folgen haben können für den Schweizer Finanzplatz, hätte der Bundesrat nicht sofort eine Schutzmassnahme installiert, die bis heute dafür sorgt, dass unsere Börsen funktionsfähig bleiben.
Doch nun erwägt das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen, die Schutzmassnahme aufzuheben. Dies geht aus einem Schreiben vom 20. Dezember an die beiden aussenpolitischen Kommissionen von National- und Ständerat hervor, das Radio SRF vorliegt.
Kommission will Massnahme beseitigen
Im März des letzten Jahres, schreibt Staatssekretärin Daniela Stoffel im Brief, sei eine Änderung der Europäischen Finanzmarktverordnung in Kraft getreten: «Dadurch werden die negativen Auswirkungen einer nicht gegebenen Börsenäquivalenz grösstenteils beseitigt.» Das Staatsekretariat wolle deshalb mit den aussenpolitischen Kommissionen über die Aufhebung der Schutzmassnahme diskutieren.
Und so hat denn die Kommission des Nationalrats diese Woche beschlossen, den Bundesrat aufzufordern, die Schutzmassnahme zu beseitigen. Sobald das Vertragspaket mit der EU sogenannt «paraphiert» sei – das sollte in diesem Frühling geschehen – soll die Schweiz zudem den Finanzdialog mit der EU wieder aufnehmen. Das Ziel: Den Zugang zum Finanzmarkt der EU verbessern.
Das jedoch hält die Schweizerische Bankiervereinigung für ein gänzlich falsches Signal, wie sie gegenüber SRF erklärt. Remo Kübler, «Leiter Research», sagt: «Wir sind irritiert über den Entscheid und können ihn in dieser Form nicht nachvollziehen.»
Bankiervereinigung will Pfand behalten
Die Bankiervereinigung weist darauf hin, dass das Vertragspaket mit der EU noch nicht gesichert sei. Mit der Aufhebung der Schutzmassnahme würde die Schweiz ein Pfand aus der Hand geben. Sie schätzt die Lage ganz anders ein als das Staatssekretariat: «Der Schweizer Börsen- und Handelsplatz wird weiter benachteiligt und dadurch auch in seinen Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt. Und das schadet natürlich der Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes».
Hebe man die Schutzmassnahme jetzt auf, hätten Schweizer Börsen nicht mehr die gleich langen Spiesse wie Börsen in der EU: «Auf der anderen Seite droht auch eine gewisse Liquiditätsabwanderung ins EU-Ausland, wenn beispielsweise ein EU-Investor aufgeschreckt ist, weil die Schweiz eben immer noch nicht den Gleichwertigkeitsstempel hat, und er sich dadurch genötigt fühlt (...) ins EU-Ausland abzuwandern und dort mit Schweizer Aktien zu handeln».
Das Staatssekretariat widerspricht. Seit Frühling 2024 habe die fehlende «Börsenäquivalenz» nur noch «eine marginale Auswirkung» auf den Schweizer Börsen- und Finanzplatz. Der Handel von Schweizer Aktien werde überhaupt nicht mehr beeinträchtigt. Und: «Gegen die verbleibende Diskriminierung, welche den bislang wenig bedeutenden Handel von Aktien von EU-Unternehmen betrifft, bietet die Börsenschutzmassnahme keinen Schutz».
Womit zwei völlig unterschiedliche Einschätzungen vorliegen.
Als Nächste ist nun die aussenpolitische Kommission des Ständerats am Zug. Sie will sich nächste Woche positionieren. Das letzte Wort wird dann der Bundesrat haben.