Was ist passiert? Im Januar 2020 verstreuten Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten Kohle in einer UBS-Filiale in Lausanne. Sie forderten, dass die UBS aufhört, in fossile Brennstoffe zu investieren. Die Bank musste die Kohle wegputzen und zeigte die Aktivisten deshalb wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch an.
Warum diskutierte das Bundesgericht den Fall heute öffentlich? Eine öffentliche Beratung gibt es immer dann, wenn die Richterinnen und Richter sich nicht einig sind. Im konkreten Fall diskutierten sie darüber, ob die Staatsanwaltschaft Berufung führen kann, auch wenn die UBS als Geschädigte darauf verzichtet hat. Die Vorinstanz hatte den Strafantrag der UBS für ungültig erklärt, weil der «falsche» Angestellte sie eingereicht hatte. Jetzt sagt das Bundesgericht: Weil die UBS das Urteil akzeptiert hat, kann die Staatsanwaltschaft den Fall nicht weiterziehen. Die Aktivistinnen und Aktivisten werden daher nur wegen Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration belangt.
Was bedeutet das Verdikt? Laut Clémence Demay, die ihre Doktorarbeit zu zivilem Ungehorsam im Recht geschrieben hat, ist das Urteil ein Zeichen der Hoffnung für Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten. Das Bundesgericht habe heute klargestellt: «Wenn die UBS kein Interesse an einer Bestrafung hat, kann die Staatsanwaltschaft nicht an ihre Stelle treten und ein virtuelles Interesse kreieren», sagt sie. Das Gericht habe Grenzen gesetzt, wie weit der Staat Klimaaktivisten für Aktionen auf privatem Grund strafrechtlich verfolgen könne.
Ist der Fall auch sonst ungewöhnlich? Nein, der Fall ist eigentlich sogar ziemlich typisch. Vor allem in den Jahren 2018 bis 2020 machten Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten mit spektakulären Aktionen auf ihr Anliegen aufmerksam. Sie spielten zum Beispiel Tennis in einer CS-Filiale, versperrten den Eingang zu einem Shoppingcenter oder legten sich auf eine Brücke, um den Verkehr zu blockieren. Diese Aktionen endeten mit Hunderten von Strafverfahren, die nun die Gerichte beschäftigen.
Erklärtes Ziel der Aktivisten ist es, die Klimapolitik mit Gerichtsprozessen voranzubringen. Gelingt ihnen das? Nur zum Teil. Zwar haben die Aktivisten in Strassburg einen Sieg errungen, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte tadelte die Schweiz dafür, zu wenig gegen den Klimawandel zu tun.
Doch die Rechtsprechung des schweizerischen Bundesgerichts ist ziemlich differenziert: Das oberste Gericht sagt regelmässig, der Staat müsse gegenüber gewaltlosen unbewilligten Demonstrationen eine gewisse Toleranz aufbringen. Doch wer den Alltag von anderen übermässig einschränke, dürfe bestraft werden. Und die Aktivisten könnten sich bei der Begehung von Straftaten nicht auf einen «Klimanotstand» berufen.
Die Schweizer Richterinnen und Richter lassen sich also nicht für Klimapolitik einspannen, sie pochen vielmehr auf die Trennung von Recht und Politik.
Bundesgericht 6B_696/2023