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Bundesgerichtsurteil «Kurze Dauer» einer Vergewaltigung doch kein Milderungsgrund

Worum geht es? Das Bundesgericht hat in einem heute veröffentlichten Urteil erklärt, die Dauer einer Vergewaltigung dürfe nie zu Gunsten des Täters gewertet werden.  

Die Vorgeschichte: 2020 kam es in Basel zu einer Vergewaltigung. Das oberste Basler Gericht reduzierte die Strafe für den Täter und begründete dies mündlich unter anderem damit, dass die Tat nur elf Minuten gedauert habe. Das Bundesgericht bestätigte das Urteil letztes Jahr mit folgendem Satz: «So ist bundesrechtskonform, dass die Vorinstanz die [im Vergleich relativ kurze] Dauer der Vergewaltigung berücksichtigt.»

Nun hat sich ein weiterer Täter auf dieses Urteil abgestützt und gesagt, seine Tat sei auch kurz gewesen, das müsse strafmildernd berücksichtigt werden. Das Bundesgericht weist die Beschwerde jedoch ab und sagt, die Dauer dürfe nie strafmildernd gewertet werden.  

Wie kommt das Bundesgericht zu diesem Schluss? Das Bundesgericht schreibt, die Vergewaltigung sei passiert ab dem ersten Moment. Das heisst also, sobald eine Penetration stattfindet, wird die sexuelle Integrität eines Opfers verletzt. Unter dem Blickwinkel der Schuld könne eine «relativ kurze» Dauer in keinem Fall strafmildernd sein.

Frau verdeckt Gesicht mit Arm und Hand.
Legende: Das Bundesgericht präzisiert sein früheres Urteil zu einem Vergewaltigungfall von 2020. IMAGO/Symbolbild/Daniel Scharinger

Kritisiert sich das Bundesgericht also selber? Auffällig bei diesem Urteil ist, dass es von einem Fünfer-Gremium gefällt wurde. Das Urteil im Basler Fall wurde nur von einem Dreier-Gremium gefällt. Michele Luminati ist Professor für Rechtsgeschichte. Er sagt, das Fünfer-Gremium zeige, dass dem Bundesgericht die Brisanz des Falles durchaus bewusst war. Auch die Wortwahl sei auffällig. So werde der Satz, in dem die kurze Dauer berücksichtigt wurde, auf Französisch als «non-sens» bezeichnet. Und auch in der Medienmitteilung schreibt das Bundesgericht von einer unangemessenen Formulierung.  

Was heisst das für künftige Fälle? Marianne Heer war selber lange als Oberrichterin tätig. Sie sagt, wenn sie einen ähnlichen Fall beurteilen müsste, würde sie sicher das neuere Urteil als Referenz nehmen. Agota Lavoyer, die Opfer von sexualisierter Gewalt berät, sagt, es sei ein wichtiges Urteil. Es halte der verharmlosenden und opferabwehrenden Formulierung des Basler Falls entgegen. Auch wenn es juristisch gar nichts anderes bedeute, sei es für die Opfer ein sehr wichtiges Zeichen.  

Was heisst das für die Kommunikation der Gerichte? Michele Luminati weist darauf hin, dass es immer wichtiger wird, dass Gerichte ihre Urteile nicht nur für andere Juristen und Juristinnen schreiben, sondern dass auch die breite Öffentlichkeit die Urteile versteht. Daher habe das Bundesgericht hier richtig gehandelt und offensiv die erste Formulierung kritisiert.

SRF 4 News, 15.10.2024, 12:00 Uhr ; 

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