Um die Medienfreiheit steht es in immer mehr Ländern immer schlechter. Längst nicht mehr nur in Diktaturen. Umso wichtiger ist deshalb, dass nun am Genfer UNO-Sitz Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga und die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, gemeinsam zu mehr Effort zur Verteidigung der Freiheit der Medien aufriefen.
Unterstützt wurden sie von zahlreichen Journalistinnen und Journalisten aus Problemländern. Gerade innerhalb der UNO haben die Fürsprecher journalistischer Freiheit derzeit einen schweren Stand.
SRF News: Weltweit bezeichnen sich viele Länder als Demokratien. In sehr vielen finden auch Wahlen statt. Doch in immer mehr Staaten steht die Medienfreiheit unter Druck. Wird dort die Demokratie nicht zur Farce?
Simonetta Sommaruga: Die Demokratie ist zumindest belastet oder bedroht ohne Medienfreiheit. Es braucht in einer Demokratie freie Medien, damit sich die Bevölkerung eine eigene Meinung bilden kann. Deshalb ist die Bedrohung der Medienfreiheit immer auch eine Bedrohung für die Demokratie.
Wie erklären Sie sich, dass die journalistische Freiheit in immer mehr Staaten dermassen unter Druck gerät?
Die Medienfreiheit kann natürlich eine Bedrohung sein für jemanden, der um jeden Preis an der Macht bleiben will. Die Medienfreiheit ist unbequem für jede Regierung. Denn Regierungen werden hinterfragt durch Medien, durch Journalisten. Das ist für alle Regierenden eine Herausforderung.
Nicht zu vergessen: Die Medienfreiheit ist ein Menschenrecht.
Dank der Medienfreiheit wird Unangenehmes aufgedeckt, Dinge, die nicht gut laufen, Korruption, Wahlfälschungen. Das ist lästig für jene, die das vertuschen möchten. Insofern gibt es viele Gründe, die Medienfreiheit zu unterbinden. Am Ende leidet darunter die Bevölkerung. Und, nicht zu vergessen: Die Medienfreiheit ist ein Menschenrecht. Es war mir wichtig, gemeinsam mit Michelle Bachelet, der UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, diese wichtige Tatsache in Erinnerung zu rufen.
In der UNO ist die Medienfreiheit ein heikles Thema. Weil hier zahlreiche Regierungen vertreten sind, die von Medienfreiheit nichts halten, sie gar bekämpfen. Gab es Widerstände dagegen, dass Sie im Palais des Nations eine Veranstaltung zugunsten der Medienfreiheit durchführten, an dem auch deren Gegner kritisiert wurden?
Nein, es war nicht problematisch. Die Medienfreiheit ist ein Grundprinzip der UNO. Sie ist festgehalten in Artikel 19 der UNO-Menschenrechtscharta. Die meisten Länder besitzen Gesetze, in denen die Medienfreiheit festgeschrieben ist.
Bei der Umsetzung gibt es allerdings Schwierigkeiten. Also dann, wenn es konkret wird. Mancherorts üben Journalistinnen und Journalisten schon Selbstzensur. Und es bräuchte überall eine unabhängige Justiz, die Verstösse gegen die Medienfreiheit verurteilt.
Wenn es um Zensur, um Gewalt gegen Journalisten ging, war bisher von Ländern wie China, Nordkorea, Saudi-Arabien oder Syrien die Rede. Inzwischen gibt es aber auch viel näher bei uns Einschränkungen, etwa in Ungarn oder Polen. In der Slowakei und in Malta wurden sogar kritische Journalisten umgebracht. Rückt das Problem geografisch näher?
Je autoritärer ein Regime ist, umso gefährlicher ist für dieses Regime die Medienfreiheit. Der Versuch, unangenehme Informationen zu unterdrücken, indem etwa der freie Zugang zu Medien oder zum Internet behindert wird, der Versuch, Journalisten einzuschüchtern, der Versuch, Medienschaffende aus einem Land rauszuhalten; all das zeigt, dass jemand ein Land autoritär führen will, indem die Demokratie und die Mitsprache der Bevölkerung immer mehr zurückgedrängt werden.
Bei uns gibt es zwar weder Zensur noch Repression. Aber auch hierzulande wird die Medienfreiheit eingeschränkt – aufgrund der wirtschaftlichen Nöte der Medien. Redaktionen werden ausgedünnt, Werbegelder fliessen spärlicher. Wie gravierend sind diese Einschränkungen?
Tatsächlich, auch in der Schweiz sind die Medien in einer strukturellen Krise. Sie müssen den Übergang von der gedruckten Presse zur Online-Publizistik schaffen. Gleichzeitig brechen die Werbeeinnahmen ein. Das schafft Abhängigkeiten. Wer finanziert das am Schluss? Offenkundig ist aber auch, dass wir die Medienvielfalt und die Medienqualität brauchen. Das haben wir während der Coronakrise besonders deutlich gesehen.
Es gibt in der Schweiz einen Konsens, dass die Unterstützung der Medien nötig ist.
Deshalb habe ich dem Bundesrat ein Mediengesetz vorgeschlagen, das die Unterstützung der Medien stärkt. Und zwar der bestehenden Medien – der Zeitungen und des privaten Radios und Fernsehens – und neu auch der Online-Medien. Wir brauchen diese Vielfalt.
Wenn die Medien derart ökonomisch unter Druck sind, haben die Journalisten immer weniger Möglichkeiten, ihre Arbeit qualitativ so gutzumachen, wie es nötig ist. Es gibt in der Schweiz einen Konsens, dass die Unterstützung der Medien nötig ist, aber auch, dass die Unabhängigkeit der Medien gewährleistet bleibt.
Freie Medien sind da für freie Bürgerinnen und Bürger. Bloss glauben manche dieser freien Bürger, die Medien verbreiten Lügen. Gerade im Zusammenhang mit den Corona-Restriktionen wie der Maskenpflicht ist von Lügenpresse und Panikmache die Rede. Und auch Donald Trump, Präsident eines freiheitlich-demokratischen Landes, tut ständig seine Verachtung für die Medien kund. Was ist da passiert?
Dass man Medien lächerlich macht, dass man versucht, sie in eine Ecke zu drängen, ist ein bekanntes Mittel, um die Medienfreiheit zurückzudrängen. Die beste Reaktion der Medien besteht darin, sich an den Fakten zu orientieren, gründlich zu recherchieren, hartnäckig zu hinterfragen. Also glaubwürdige Informationen anzubieten. Es ist für die Menschen zunehmend schwierig, sich zu orientieren. Was stimmt? Was wird bloss behauptet? Eine faktentreue, vertiefte Berichterstattung braucht jedoch Ressourcen. Und dafür müssen wir sorgen.
Doch ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung vertraut gerade dieser Faktentreue offenkundig nicht mehr. Journalisten werden angegriffen, Medien verunglimpft, zumindest verbal und besonders in den sozialen Medien.
Wir haben in der Coronakrise gesehen, wie sehr viele Menschen in der Schweiz und in anderen Ländern auf die Medien angewiesen waren. Sie haben mehr Zeitung gelesen, häufiger ferngesehen und Radio gehört. Es war vielen offenbar wichtig, an Informationen, an Fakten zu gelangen, Experten zu hören. Das ist die beste Medizin gegen das, was ebenfalls läuft: bewusst und oft organisiert verbreitete Falschmeldungen.
Klar ist: Man muss sich für die Medienfreiheit engagieren. Die Menschen müssen sich ständig um Informationen bemühen. Das ist anstrengende Arbeit, die wir alle leisten müssen. In einer Demokratie kommt die Bevölkerung nicht darum herum, sich selber um Informationen, um Fakten zu bemühen.
Das Gespräch führte Fredy Gsteiger in Genf.