Das Bundesamt für Gesundheit steht in der Kritik. Es hatte falsche Zahlen publiziert, wonach die Gefahr, sich mit dem Virus anzustecken, in Clubs und Restaurants am grössten sei – statt in der Familie. Das Vertrauen in die Behörde scheint gelitten zu haben. Gesundheitsminister Alain Berset nimmt im Interview mit SRF Stellung.
SRF News: Ihr Bundesamt für Gesundheit steht massiv in der Kritik. Letztes Beispiel war die Informationspanne, wo falsche Zahlen der Ansteckungen bekannt gegeben wurden. Hat das BAG eine Reputationskrise?
Alain Berset: Es ist ein Fehler passiert, das ist klar. Da ist es wichtig, diesen Fehler zu bemerken und zu korrigieren. Das ist gemacht worden. Wir müssen dafür sorgen, dass es nicht mehr passiert.
Hat dieser Fauxpas nun Konsequenzen?
Natürlich, der Fall wird beim BAG organisatorische Konsequenzen haben. Einen Fehler kann es aber immer geben. Wir müssen bei den Abläufen genau hinschauen, wie man sie verbessern kann.
Das BAG steht unter grossem Druck.
Man muss aber auch sehen: Es gibt Hunderte Medienanfragen jeden Tag, das BAG steht unter grossem Druck.
Dieser letzte Kommunikationsfehler war nur ein Beispiel von weiteren. Die Maske war ein anderes Thema. Da hiess es lange, sie nütze nicht – auch in einer Phase, in der man zu wenige Masken hatte. Als man dann genügend Masken hatte, wurde, so schien es, umgeschwenkt und der Nutzen der Masken propagiert. War dies eine Notlüge?
Nein, die Geschichte klingt sehr gut, ist aber falsch. Man sucht nur nach einer Gewissheit in einer sehr ungewissen Zeit. Wir haben von Anfang an kommuniziert, dass die Maske nützt, um andere nicht anzustecken.
Man sucht nur nach einer Gewissheit in einer sehr ungewissen Zeit.
Und dass es nicht einfach ist, die Masken korrekt zu benützen, und sie nur dann nützt. Als alles geschlossen war, hat das Sinn ergeben. Aber ab dem Moment, wo die Massnahmen gelockert wurden, war immer klar: In gewissen Situationen soll man die Maske tragen.
Einige Kantone haben härtere Massnahmen beschlossen. Es gibt aber wiederum Empfehlungen des Bundes, dass die Massnahmen gelockert werden sollen. Ist das nicht verwirrend, herrscht hierzulande Kakofonie?
Nein, man muss sich im Klaren darüber sein, dass der Bundesrat die Regeln fixiert hat, die für die ganze Schweiz gelten. So ist es beispielsweise beim ÖV geschehen. Die Kantone müssen aber selbst einschätzen, wie die Situation vor Ort ist und handeln können, da wo die Fälle steigen. Die machen es gut. Es gibt auch Kantone, da würde es wenig Sinn ergeben, die Massnahmen wieder zu verschärfen.
Kommt analog zur bundesweiten Maskenpflicht bald eine Maskenpflicht für die Läden oder in geschlossenen Räumen?
Es gibt schon eine Maskenpflicht für den ÖV, die wird bleiben. Dort ergibt es auch Sinn, da diese schweizweit verbunden sind.
Die Kantone machen das in der schwierigen Lage sehr gut.
Dasselbe kann für geschlossene Räume nicht gesagt werden, dort ist es sehr stark abhängig von der Situation. Die Kantone machen das in der schwierigen Lage sehr gut. Es gibt aber Informationsflüsse, die man verbessern muss, denn die ungewisse Lage wird noch für eine Weile bleiben.
In Genf sind aktuell die Fallzahlen so hoch, dass der Kanton auf der Risikoliste landen würde, zähle er zum Ausland. Ist das ein Problem für die Schweiz, dass die Bevölkerung vielleicht nicht weiss, wo die Infektionszahlen hoch sind und wo nicht und dann trotzdem durchreisen?
Es gibt nicht so viele Schweizerinnen und Schweizer, die quer durch die ganze Schweiz reisen.
Jetzt in den Sommerferien schon.
Ja, das muss man schon auch sehen, es ist Sommer. Man geht gerne nach draussen, trifft Freunde, und das ist auch ok. Aber das erhöht natürlich die Gefahr für Ansteckungen. Genf hat in dieser Situation mit den rasch ansteigenden Zahlen richtig reagiert und die Maskenpflicht rasch umgesetzt sowie die Clubs geschlossen. Genau das zeigt ja, das der Föderalismus funktioniert. Kantone, die stärker betroffen sind, müssen auch so handeln können, wie es für sie angezeigt ist.
Sollen die Kinder in der Schule Masken tragen müssen?
Auch das müssen die Kantone selber entscheiden. Die Kinder sind vorrangig nicht Treiber der Infektionen. Es ist wichtig, dass die Kinder, die mit dem ÖV in die Schule gehen, dort Masken tragen. In den Klassen kennt man die Namen der Schülerinnen und Schüler, man weiss, wer mit wem in Kontakt war. Ich bin aber nicht hier, um Empfehlungen an die Kantone zu geben. Die Kantone müssen das selbst anschauen und beurteilen. Im Moment haben wir auf Bundesebene aber andere Probleme als die Maskenpflicht in den Schulen, zum Beispiel die Reise-Rückkehrer aus dem Ausland.
Schauen wir uns die Fallzahlen an, sind sie nun wieder regelmässig dreistellig. Kommen erneut striktere Massnahmen auf uns zu, gar ein zweiter Lockdown?
Wir engagieren uns mit allen Kräften, um einen zweiten Lockdown zu verhindern. Das muss das Ziel sein. Es muss aber auch klar sein, dass dafür die ganze Bevölkerung mitmachen muss.
Wir werden das Virus nicht so schnell loswerden, wie wir das wünschen.
Ohne Abstand und Hygienemassnahmen wird dies nicht funktionieren. Leider bleibt das Virus noch da. Wir werden es nicht so schnell loswerden, wie wir das wünschen.
Die grosse Entscheidung steht bald an, wie es mit den Grossanlässen weitergeht. Bleibt die 1000-Personen-Grenze bestehen, was zeichnet sich ab?
Das bleibt eine grosse Diskussion. Es gilt ein Verbot bis Ende August. Bis jetzt haben wir schon viel gelernt. Andere Länder haben mehr zugemacht. Wir werden diese Diskussion in der nächsten Zeit führen müssen, sie ist aber nicht ganz einfach. Eine Messe mit 10'000 Personen über mehrerer Wochen ist nicht das gleiche wie ein Konzert mit 10'000 Personen, wo an einem Tag alle zusammen auf einem Gelände sind. Diese Analysen laufen jetzt und werden gemacht.
Wie ist die Stimmung derzeit – eher pessimistisch oder optimistisch?
Ich bin generell ein optimistischer Mensch. Aber man muss schon sehen, die Lage ist schwierig. Wenn es der Bevölkerung gelingt, die Hygienemassnahmen und den Abstand weiterhin umzusetzen, dann haben wir eine Chance. Im Sommer ist es vielleicht nicht so einfach, aber wir müssen dranbleiben.
Das Gespräch führte Urs Gredig.