6.30 Uhr: Bundesplatz, Bern. Alles ist ruhig. Genau wie es sich für diese Uhrzeit gehört. Das Bundeshaus ist trotz drohender Stromkrise hell beleuchtet. Die Schweizer Fahne weht im kalten Wind. Und nichts deutet darauf hin, dass heute gleich zwei neue Mitglieder in die Schweizer Landesregierung gewählt werden.
Einzig auf der Bundesterrasse, beim Besuchereingang, herrscht bereits Andrang. Dutzende Medienschaffende stehen unter den Arkaden schön brav in einer Reihe und warten geduldig, bis sie einzeln zum Sicherheitscheck gewunken werden. Und nein, Getränke darf man keine ins Bundeshaus mitbringen.
6.54 Uhr: Wandelhalle, Bundeshaus. Noch herrscht wenig Betrieb in der Wandelhalle und im Nationalratssaal. Die Medien nehmen langsam ihre «Studios» in Betrieb, die sie seit Dienstagabend aufgebaut haben. Im Nationalratssaal verteilen Mitarbeiter der Parlamentsdienste Unterlagen auf die 246 Sitze. Kurz vor 7 Uhr taucht der Walliser Mitte-Nationalrat Philipp Bregy auf. Er ist einer der Ersten und meint, es werde nicht viel passieren heute: «Es wird wie leider im Fussball gestern nahtlos mit Favoritensiegen weitergehen.» Er wird nur teilweise recht behalten.
7.11 Uhr: Auftritt der SP-Kandidatinnen – gemeinsam. Elisabeth Baume-Schneider und Eva Herzog tauchen überraschend zusammen im Bundeshaus auf. Die SP-Kandidatinnen haben offenbar nicht den Haupteingang genommen. Und nein, den Medien möchten sie jetzt lieber nichts mehr sagen. Stattdessen gehen sie, auf Schritt und Tritt von Kameras verfolgt, auf direktem Weg ins Bundeshaus-eigene Café – gemeinsam. Sie scheinen noch etwas zu besprechen haben, bevor sie in Kürze gegeneinander antreten. Der verhinderte SP-Kandidat Daniel Jositsch schleicht sich derweil unbehelligt die Treppe hoch zur Wandelhalle.
Ganz anders die Auftritte der beiden SVP-Kandidaten Hans-Ueli Vogt und Albert Rösti. Sie kommen einzeln und standesgemäss über die Haupttreppe und geben den bereitstehenden Medienvertretern mehr als bereitwillig Auskunft. Röstis zur Schau gestellte Lockerheit scheint echt zu sein. Fast könnte man es Siegesgewissheit nennen. Zumindest im Nachhinein betrachtet.
8.00 Uhr: Das Warten beginnt. Pünktlich ertönt das Glöcklein aus dem Saal, Nationalratspräsident Martin Candinas (Mitte/GR) eröffnet die Sitzung, die bewaffneten Polizistinnen und Polizisten des Fedpol schliessen die Saaltüren. Die Medienschaffenden haben ihre Positionen in der Wandelhalle bezogen und verfolgen das Geschehen über Bildschirme.
Drinnen im Saal werden Simonetta Sommaruga und Ueli Maurer verabschiedet und geehrt. Draussen macht sich erstmals Nervosität breit – zumindest bei den Rauchern – denn die Türen zur Raucherterrasse sind noch verschlossen. Doch bald naht Rettung. Ein Mitarbeiter der Parlamentsdienste öffnet die Türen. Derweil wartet die ganze Wandelhalle, bis die Wahlen an der Reihe sind. Um 8.39 Uhr ist es so weit.
09.07 Uhr: Habemus Bundesrat. Albert Rösti schafft die Wahl bereits im ersten Wahlgang. Aus dem Nationalratssaal brandet Jubel und Applaus. Bei den Journalistinnen und Journalisten in der Wandelhalle ist nicht einmal ein Raunen zu vernehmen. Einige nicken sich zu. «War ja klar, hab ich ja gesagt», scheinen ihre Blicke zu sagen. Alles Courant normal, business as usual halt.
10.25 Uhr: Und dann geht doch noch ein Raunen durch die Wandelhalle. «Gewählt ist: Elisabeth Baume-Schneider», tönt es aus dem Fernsehgerät. Und dann geht doch noch ein hörbares Raunen durch die Journalistenschar in der Wandelhalle. Es wurde zwar in den letzten Tagen gemunkelt, dass Baume-Schneider es schaffen könnte. Aber Herzog blieb Favoritin. Sofort bricht emsiges Treiben aus. Jetzt gilt es zu analysieren, Interviewpartner zu finden und einzuordnen. Ein Pulk von Kameraleuten und Fotografen wartet vor einer Saaltüre auf die Neugewählten. Der Fedpol-Polizist hat längst aufgegeben, sie darauf hinzuweisen, dass Filmen und Fotografieren durch das Fenster in der Türe verboten ist.
Die Bundesratswahlen 2022 sind Geschichte. Und immerhin ist dann doch noch etwas Überraschendes passiert.