«Die SP hat ihre Seele an das Machtkartell verkauft.» Das sagte Grünen-Präsident Balthasar Glättli am Mittwoch nach den Bundesratswahlen im Interview mit dem «Tagesanzeiger». Die Ereignisse an den Bundesratswahlen schafften Klarheit in einer «schwierigen Beziehung» mit der SP. Er fühle sich nicht betrogen, sondern «befreit von falschen Rücksichtnahmen». «Wir schulden der SP nichts mehr.»
So hat man Balthasar Glättli noch nie gehört. Der abtretende Grünen-Präsident denkt sogar «in aller Gelassenheit» darüber nach, in Zukunft einen SP-Bundesratssitz anzugreifen. Ist da gerade ein Streit innerhalb des linken Lagers ausgebrochen?
Für Politologe Lukas Golder, Co-Leiter des Forschungsinstituts GFS Bern, ist klar: Derartige Kritik aus grünem Mund an die Adresse der Sozialdemokraten ist neu. Trotzdem könne er sich einen langen Streit kaum vorstellen. Hinter diesen Aussagen stecke vermutlich ein Kalkül des Grünen-Präsidenten – und der ganzen Partei.
Die Grünen hätten sich in der Vergangenheit häufig im Schatten der SP bewegt, es verpasst, sich ein eigenes Profil zu geben und weniger emanzipiert gewirkt, so der Politologe. Seit der historischen Klimawahl 2019 wünscht sich Grün eine lautere Stimme, Augenhöhe.
Mit den Äusserungen Glättlis sei «jetzt der Anspruch klar auf dem Tisch», sagt Golder weiter: Die Grünen wollen in den Bundesrat, auch auf Kosten der SP. Hinzu kommt: Für den scheidenden Parteipräsidenten sei es jetzt einfacher, Kritik zu üben, wenn er den Stab übergeben könne. «Er kann gezielt Geschirr zerschlagen», so Golder.
Langlebiges Geschirr
Aus dem Bundeshaus ertönen ähnliche Vorwürfe von Grün an Rot, aber weniger angriffig. «Wir sind nicht enttäuscht von der SP», sagt Grünen-Fraktionschefin Aline Trede. Die SP sei unter extremem Druck gestanden und habe deshalb Andrey in ihrer Fraktion nicht empfohlen.
Trotzdem wurde daraufhin der Zürcher SP-Ständerat Daniel Jositsch mit 70 Stimmen unterstützt, betont Trede. «Sie (die SP) muss sich überlegen, ob das die richtige Strategie war oder nicht.»
In der Beziehung zur SP sei aber nichts kaputtgegangen, so Trede weiter. «Wir sind zwei Parteien. Es gibt immer Konflikte.» Aber sie müssten nach wie vor zusammen eine progressive Politik im bürgerlich dominierten Parlament durchbringen. Das würden sie in Zukunft auch weiterhin tun.
Cédric Wermuth, Co-Präsident der SP, versteht den Ärger der Grünen, sagt aber: «Es war ein Dilemma. Wir mussten in dieser Situation entscheiden: Riskieren wir für eine chancenlose Kandidatur der Grünen den zweiten Sitz der SP? Das wäre verantwortungslos gewesen gegenüber allen Wählerinnen und Wählern von links-grün», so Wermuth.
Es ist wie in einer guten Beziehung: Manchmal hat man Streit, aber man findet auch wieder zusammen.
Wermuth ist trotz einer «taktischen Meinungsverschiedenheit» überzeugt, dass die beiden weiterhin gut zusammenarbeiten werden. Man wolle die bürgerliche Mehrheit im Bundesrat brechen. Zudem sei die Grüne Partei ihre engste Partnerin. «Es ist wie in jeder guten Beziehung: Manchmal hat man Streit, aber man findet auch wieder zusammen», so Wermuth.
Dass also Glättlis Äusserungen sich auf die links-grüne Geschlossenheit auswirken werden, glaubt auch Politologe Golder nicht: «Ich kann mir kaum vorstellen, dass das Geschirr so nachhaltig kaputtgeht.» Man habe jetzt nach den Wahlen die Chance, mit der erstarkten Mitte und den Neugewählten wieder Mehrheiten zu finden.