Und am Schluss bleibt alles gleich: Die FDP muss nie richtig zittern um ihre zwei Bundesratssitze. Der Angriff der Grünen wird zum Rohrkrepierer. Und die SP bringt – unter Nebengeräuschen zwar – mit Beat Jans einen ihrer offiziellen Kandidaten ins Bundesratszimmer.
Man kann das Stabilität nennen. Diesen Begriff verwenden bürgerliche Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Oder man kann von einem Machtkartell reden. Diesen Begriff wählen die düpierten Grünen. Es ist eine Frage des politischen Standpunkts.
Von Machterhalt....
Im linken Lager brennt es nach dem heutigen Wahlvormittag: Höchstens die Hälfte der SP-Fraktion hat den Sprengkandidaten der Grünen, Gerhard Andrey, unterstützt. Die Parteispitze der Grünen wirft den sozialdemokratischen Verbündeten unsolidarisches Verhalten vor.
Auch wenn eine volle Unterstützung aus der SP nichts an der Aussichtslosigkeit des Grünen-Angriffs geändert hätte: Die Haltung der SP-Fraktion ist bemerkenswert, weil es ihr dabei letztlich auch um den eigenen Machterhalt ging. FDP und SVP haben im Vorfeld geschickt eine Drohkulisse aufgezogen, mit der Warnung vor Retourkutschen bei der SP-Ersatzwahl.
... zu Machtverzicht
Machterhalt also bei der SP. Genau umgekehrt verhält es sich bei der Mitte-Partei – und das ist die vielleicht bemerkenswerteste Geschichte dieser Wahlen: Die Mitte-Parteileitung hat trotz theoretischer Aussichten auf eine Mehrheit darauf verzichtet, der FDP den zweiten Sitz streitig zu machen. Parteikollegen, die sich auf Planspiele für einen solchen Angriff einlassen wollten, wurden auf Linie getrimmt.
Die Mitte-Partei also sichert freiwillig die FDP-SVP-Mehrheit im Bundesrat ab – offiziell, weil sie im Interesse der Stabilität bisherige Bundesräte aus Prinzip wiederwählt. Inoffiziell wohl auch, weil keine potenzielle Kandidatin, kein potenzieller Kandidat von Format auf einen Wackelsitz gewählt werden wollte: Schliesslich hätte der oder die Neue bereits in vier Jahren wieder mit einer Abwahl rechnen müssen.
Faktische Wiederwahl-Garantie
Der Verzicht der Mitte-Partei hat Folgen: Er festigt die Erzählung, dass eine Nicht-Wiederwahl eines bisherigen Bundesrats zwingend die Stabilität gefährde. Und er trägt dazu bei, dass bisherige Bundesrätinnen und Bundesräte über eine faktische Wiederwahl-Garantie verfügen. Der Verzicht der Mitte festigt zudem auch die Deutungskraft der «alten» Zauberformel, wonach die drei wählerstärksten Parteien zwei und die viertstärkste Partei einen Bundesratssitz erhalten.
Dabei geht vergessen, dass das Kriterium für diese Formel ursprünglich nicht Wählerprozente, sondern die Sitzzahl in der Bundesversammlung war. Gemessen an diesem Kriterium läge die Mitte vor der FDP. Und noch eine weitere Folge hat der Verzicht der Mitte: Auf Ignazio Cassis, dem amtsälteren und stärker kritisierten FDP-Vertreter im Bundesrat, lastet ab sofort mindestens impliziter Druck seiner Partei: Druck, so lange wie möglich im Amt zu bleiben, um der Mitte keine Gelegenheit zu bieten für einen Angriff auf den zweiten freisinnigen Sitz. All diese Folgen und Entwicklungen sind zumindest diskussionswürdig.
Eine verpasste Chance
Vielleicht sehen manche Mitte-Politikerinnen und -Politiker den heutigen Verzicht auf einen Angriff rückblickend als verpasste Chance.
Und man darf sich fragen, ob auch das Land eine Chance verpasst hat - eine Chance auf eine offenere Diskussion über neue Regeln für die Machtverteilung im Bundesratszimmer.