SRF-Bundeshausredaktor Michael Steiner: Herr Maudet, Sie galten lange als der Aussenseiter. Nun sind Sie offizieller Bundesratskandidat. Sind Sie überrascht?
Pierrre Maudet : Ich bin positiv überrascht. Ich bleibe aber so oder so der Aussenseiter. Ich war aber überzeugt, dass ich nach der intensiven Kampagne im August die Chance erhalte, mich heute zu verteidigen.
Herr Cassis, Sie gelten als der Favorit. Nun erhalten Sie unerwartet viel FDP-interne Konkurrenz. Sind Sie der eigentliche Verlierer dieses Dreiertickets?
Ignazio Cassis: Mein Ziel war heute auf dem Ticket zu sein – Ziel erreicht. Und wissen Sie: Die Etikette des Favoriten haben die Medien mir angeklebt und nicht ich.
Frau Moret, es gibt auch Stimmen innerhalb der FDP, die sagen: Dieses Dreierticket wurde nur gemacht, damit Sie als Frau nicht frühzeitig aus dem Rennen fallen. Was sagen Sie zu solcher Kritik?
Isabelle Moret: Ich bin sehr zufrieden, auf dem Ticket zu sein. Nun können wir an die Hearings gehen und den anderen Parteien unsere Vorteile, Kenntnisse und Kapazitäten zeigen.
Haben Sie in den letzten Tagen mal befürchtet, dass es nicht reicht für dieses Ticket oder waren Sie immer überzeugt: Doch ich schaffe es?
Isabelle Moret: Ich war immer überzeugt, dass ich es schaffe. Aber ich habe mich mit viel Dynamik und Engagement vorbereitet und bin auch aus der Fraktion ausgetreten.
Ein kleines Handicap bei der Bundesratswahl haben Sie trotzdem, Frau Moret. Sie kommen aus einem Kanton, der mit Guy Parmelin bereits im Bundesrat vertreten ist. Wie wollen Sie jetzt die Tessiner und die Ostschweizer überzeugen, dass es einen zweiten Bundesrat aus dem Waadtland braucht?
Isabelle Moret: Durch meine Kapazitäten. Ich beherrsche viele Bundesdossiers, habe Dialog- und Kompromissfähigkeit. Und ich kann mit allen Parteien reden – von der SP bis zur SVP.
Herr Maudet, auch Sie haben ein «Problem»: Die SVP wird wahrscheinlich Herr Cassis unterstützen. Also müssen Sie auf die Linken zählen, um überhaupt eine Chance haben. Gefällt Ihnen diese Aussicht?
Pierre Maudet: Ich denke, dass sich diese Bundesratswahl zum ersten Mal vielleicht nicht nur auf der Skala Links-rechts bewegen wird. Meine Kandidatur ist eine inhaltliche Kandidatur, die eigentlich eine Vision für die Schweiz darstellt. Beispielsweise im Bereich der Europapolitik denke ich, gibt es bei der SVP gewisse Leute, die sich für die Wirtschaft und die Lösungen in der Wirtschaft interessieren und die mir vielleicht folgen können.
Sie müssen nun die grosse Werbekampagne starten, Herr Maudet. Gehen Sie nun zu allen Bundesparlamentariern, um persönlich zu werben?
Pierre Maudet: Ich werde das Gleiche machen, was ich bisher mit einem gewissen Erfolg gemacht habe – und schauen ob es auch dieses Mal funktioniert. Aber ich bin überzeugt, dass man die Menschen mit Visionen, mit einer gewissen Idee der Schweiz überzeugen muss.
Und Sie, Herr Cassis, müssen ja ein bisschen auf die Unterstützung der SVP hoffen. Haben Sie deshalb Ihren italienischen Pass kurz vor dem Rennen um den Bundesratssitz abgegeben?
Ignazio Cassis: Nein, die doppelte Staatsbürgerschaft aus Italien habe ich abgegeben, weil es für mich so richtig war. Ich konnte mir nicht vorstellen, so die Schweiz als Bundesrat zu vertreten. Für alle anderen Funktionen ist dies für mich kein Problem. (…) Ich hätte nie erwartet, dass so eine Welle kommt, denn es war ein persönlicher Entscheid. Ich nehme jetzt einfach wahr, dass nun wahnsinnig viele Thesen zirkulieren. Ich möchte sie auch nicht kommentieren, sie sind alle berechtigt, aber einfach falsch. Für mich war es ein persönlicher Entscheid.
Sie sind der Vertreter der italienischen Schweiz. Aber Sie werden nicht einmal von allen Tessiner Politikern unterstützt. Die Lega will sie nicht wählen, die Tessiner SP ist skeptisch. Sind Sie überhaupt der richtige Vertreter der italienischen Schweiz?
Ignazio Cassis: Wir sind FDP-ler. Es ist normal, dass Leute aus anderen Parteien uns nicht unterstützen. Das war immer schon so. Man soll nicht von einem Tessiner erwarten, dass er 101 Prozent der Bevölkerung hinter sich hat. Aber der Regierungsrat des Kanton Tessin hat mich offiziell unterstützt, auch das italienischsprachige und das rätoromanische Graubünden. Ich finde mich genügend getragen. Und ich brauche nicht die Unterstützung aller, auch nicht von denjenigen, die mit mir nicht auf der gleichen Wellenlänge sind.