Burnout-Symptome bei Assistenzärzten nehmen seit Jahren zu. Mit ein Grund ist die hohe, in vielen Fällen widerrechtliche Arbeitsbelastung. Wo genau fehlt's? Was ist zu tun? Und worauf kann man aufbauen? Ein Gespräch mit der Präsidentin des Ärzte-Berufsverbands FMH.
SRF News: Assistenzärztinnen und -ärzte klagen, dass immer mehr von ihnen ausbrennen. Sind sie als Gesundheitsexperten sensibilisierter für Burnouts? Oder besteht tatsächlich ein Branchenproblem?
Yvonne Gilli: Wenn ein Arzt oder eine Ärztin an einem Burnout erkrankt, wird die Diagnose nicht gestellt, weil die Akteure sensibilisierter sind, sondern weil ein klarer Krankheitswert besteht: Die kranken Ärztinnen und Ärzte fallen lange aus und brauchen eine lange Zeit für die Rekonvaleszenz.
Zwar erkranken in der ganzen Gesellschaft immer mehr an einem Burnout, insbesondere Junge. Aber die Ärztinnen und Ärzte sind stärker betroffen. Sieht man sich ihre Arbeitsbedingungen an, ist klar, wieso: Durchschnittliche 55-Stunden-Wochen stellen eine grosse physische und psychische Belastung dar.
Mitarbeiter der Gesundheitsbranche müssten doch Profis sein im Erkennen und Vermeiden eines Burnouts.
Sie sprechen den Resilienz-Faktor an. Ich gehe schon davon aus, dass Ärztinnen und Ärzte ein Burnout schneller erkennen und entsprechend rascher reagieren können. Diese Befähigung zur Selbstwahrnehmung wollen wir weiter stärken.
Wie kommt die hohe Arbeitsbelastung zustande?
Die Schweiz hat ein starkes Bevölkerungswachstum und eine demografische Überalterung. Das ergibt mehr Patienten. Weiter werden hierzulande zu wenig Ärzte ausgebildet. Es besteht ein Fachkräftemangel und eine zu grosse Abhängigkeit vom Ausland. Schliesslich: Die Spitäler sind in vielen Leistungen, die sie erbringen, defizitär.
Wenn die Arbeitsbedingungen immer schlechter werden, können wir auch die Leute nicht mehr im Beruf halten. Und das ist schlimm, auch volkswirtschaftlich.
Der Spardruck geht auf Kosten der Arbeitsbedingungen. Und wenn diese immer schlechter werden, können wir auch die Leute nicht mehr im Beruf halten. Und das ist schlimm – auch volkswirtschaftlich.
Welche Rolle spielt das Verhältnis zwischen Arzt und Patient? Kann sich ein Arzt leisten, Schwäche zu zeigen?
Ein Arzt, der immer ein Held sein muss, ist sicher ein veraltetes Rollenmodell, das der Resilienz nicht förderlich ist.
Dem ungeachtet aber haben Politik und Gesellschaft die Pflicht, dafür zu sorgen, dass Ärzte und Ärztinnen gesund sind. Nur ein gesunder Arzt kann behandeln. Denn er hat es mit verletzlichen Personen und belastenden Diagnosen zu tun. Da reicht die angesprochene Förderung der Resilienz eben nicht aus. Die Ärztinnen und Ärzte müssen diese auch umsetzen können. Unter den jetzigen Arbeitsbedingungen können sie das nicht.
Wo kann man sonst noch anpacken?
Wir müssen die Arbeitsbedingungen verbessern, damit die Ärztinnen und Ärzte gar nicht erst ausbrennen. Worunter leiden sie vor allem? An einer hohen administrativen Belastung. Die kann man reduzieren. Das muss man aber wollen.
Ein Arzt ist auch ein Mensch. Der will, dass man anständig mit ihm umgeht.
Unternehmen, die Krankenkassen und die Ärzte selbst stehen in der Verantwortung. Was können die Patienten tun?
Eigentlich ist es ja nicht die Aufgabe der Patienten, auf die sie behandelnden Ärzte zu schauen – sondern umgekehrt. Aber wenn Sie mich so direkt fragen: In unserer Gesellschaft ist ein Arzt auch ein Mensch. Der will auch, dass man mit ihm anständig umgeht. Wertschätzung brauchen auch Ärztinnen und Ärzte. Dass man nicht nur fordert und Wartezeiten beklagt, die oft unerlässlich sind. Vor allem wollen sie keine Gewalt erfahren. Die hat in den Notfallstationen ja zugenommen.
Das Gespräch führte Christine Spiess.