China übt mit hoher Wahrscheinlichkeit Druck auf Tibeterinnen und Uiguren aus, die in der Schweiz leben. Zu diesem Schluss kommt der Bundesrat in einem neuen Bericht. Ralph Weber von der Universität Basel hat daran mitgearbeitet. Der China-Experte erklärt, welche Strategien Peking verfolgt – und was die Schweiz dagegen tun kann.
SRF News: Wie übt China konkret Druck auf die Menschen aus?
Ralph Weber: Die Bandbreite ist gross, die Sachlage komplex. Teilweise wird direkt Druck ausgeübt: Drohungen, Telefonanrufe zu jeder Tages- und Nachtzeit, Fotoaufnahmen bei Demonstrationen. Diese Fotos können dann wieder in China auftauchen. Es wird auch Druck über die Visa-Vergabe ausgeübt, so etwa, wenn man zurück in die Heimat reisen und die Familie besuchen will.
Was für eine Strategie verfolgt China damit?
Es geht darum, Misstrauen in den Gemeinschaften zu streuen und sie zu spalten. China versucht beispielsweise darauf einzuwirken, wer dem Dalai Lama folgt oder eben nicht. Peking versucht, in dieser Frage Zwist bei der tibetischen Community zu säen.
Es ist auch Vorsicht geboten. Unsere Studie und der Bericht des Bundesrats dürfen nicht dazu beitragen, dass das Misstrauen weiter erhöht wird. So zum Beispiel, wenn es im Bericht heisst, dass einzelne Tibeterinnen und Tibeter als Spitzel tätig sind. Dies darf nicht dazu führen, dass jeder, der etwas mit der Volksrepublik China zu tun hat, als Spitzel betrachtet wird. Freund-/Feind-Konstellationen oder eine Zuordnung von «Verrätern» lassen sich nur schwer vornehmen.
Wie ist die Situation der Exil-Gemeinschaften in der Schweiz im Vergleich zum Ausland?
In der Schweiz sieht man, was sich auch in anderen Ländern beobachten lässt. Bei uns ist die uigurische Gemeinschaft allerdings vergleichsweise klein. In anderen Ländern dürften sich wohl mehr Fälle und andere Arten der Repression finden. Die tibetische Gemeinschaft in der Schweiz ist dagegen ausserordentlich gross. Es handelt sich um eine der grössten Diaspora ausserhalb Indiens. Es steht zu vermuten, dass China deswegen ein besonderes Augenmerk auf die hierzulande lebenden Tibeterinnen und Tibeter legt.
In diesem Spannungsfeld geht es um die Wirtschaftsbeziehungen zu China einerseits und die Wahrung der Grundrechte andererseits.
Gestützt auf Ihre Forschung kommt der Bundesrat zum Schluss, dass die chinesische Repression die Souveränität der Schweiz bedrohe. Die Landesregierung will deswegen Massnahmen ergreifen. Was kann die Schweiz tun, um den Druckversuchen auf die Exil-Communitys zu begegnen?
Die Schweiz ist wie viele liberale Demokratien in einer schwierigen Lage, wenn es darum geht, Antworten auf diese Phänomene zu finden. Der Bundesratsbericht macht zum einen klar, dass es sich hier um Straftaten und teilweise sogar um Offizialdelikte handelt, gegen die man vorgehen muss. Bei Grundrechtseinschränkungen muss man wiederum abwägen, doch auch sie können zu Reaktionen seitens der Schweiz führen. Daneben gibt es Druckversuche, die eine gewisse Hürde nicht überschreiten, um aktiv werden zu müssen.
Es gibt aber Entscheide, die die Schweiz selber fällt. Inwiefern wird es etwa tibetischen Demonstrierenden erlaubt, gegen den Besuch eines chinesischen Staatsoberhauptes zu demonstrieren? Das liegt im Ermessen der Schweizer Behörden. In diesem Spannungsfeld geht es um die Wirtschaftsbeziehungen zu China einerseits und die Wahrung der Grundrechte andererseits. Das sind schwierige Abwägungen für eine Regierung. Auf Grundlage des vorliegenden Berichts könnten diese Diskussionen konstruktiv und sachlich geführt werden.
Das Gespräch führte Oliver Kerrison.